Freitag, 6. November 2020

Die erste Woche danach

Als ich am Montag ins Büro kam, hatte ich das Gefühl, dass ich erst am Freitag davor zuletzt da gewesen bin. Ein freundliches Begrüssungsschild empfing mich und ein paar Kolleg*innen waren auch im Büro, trotz Corona-Schutzmaßnahmen. Ich musste mir dann erst mal ein neues Passwort für den Computer besorgen, das alte war im April abgelaufen. Auf mich warteten 899 ungelesene Mails. Das fand ich wenig nach acht Monaten. Ich war sehr dankbar, dass mich viele Kolleg*innen von ihren Verteilern genommen hatten. Den größten Teil der Mails sortierte und löschte ich bis heute, jetzt sind nur noch 26 ungelesen. Gestern war ich erstmals im „Homeoffice" mit dem neuen Büro-Laptop und einem uneingeschränkten Zugang auf Mails und alle Dokumente. So lässt sich wirklich zu Hause arbeiten. 

Meine erste Videokonferenz hatte ich auch gestern. Das geht jedoch nur mit dem privaten Gerät zu Hause, das können unsere Bürogeräte (noch) nicht. Ihnen fehlen passende Programme und die, besonders misslich, Kameras. Die Beschaffung war eben vor Corona gelaufen.

So eine Videokonferenz mit rund einem Dutzend Teilnehmern ist eine ganz andere Kommunikation, man braucht mehr Konzentration, um zu folgen, die Gesprächsführung ist wirklich anspruchsvoll und als Teilnehmerin ist es verführerisch nebenbei was anderes zu tun, weil man Ton und Bild ja abstellen kann... wir kennen ja die lustigen Bilder, wenn das mal schief geht. 

In der nächsten Woche geht es für mich weiter mich auf den aktuellen Stand zu bringen und wieder sicherer einsteigen zu können.

Samstag, 31. Oktober 2020

🌈Resümee

Heute sind die acht Monate „Freistellung" formal vorbei. Es war vieles anders, als noch zu Beginn gedacht, aber es war eine schöne Zeit, weil ich in großer emotionaler und ökonomischer Sicherheit etwas andere Wege gehen, etwas Anderes erleben konnte. Ich wollte Zeit haben, die anders ist und die habe ich nun wirklich bekommen. Es wäre natürlich nicht nötig gewesen, dass alle mitmachen. 😉
Es war für mich nicht enttäuschend, dass es anders wurde. Ich hatte ja sowieso wenig geplant. Ich bedauere eigentlich nur, dass ich nicht durch Polen gereist bin und dass ich nicht nach England fahren konnte. Jetzt werden die Tage kürzer, das Wetter trüber, die Kraniche und Gänse sind weitgehend schon nach Süden gezogen, die Indoor-Zeit beginnt, das Fitnessstudio und das Schwimmbad müssen für einen Monat schließen. Da kann ich auch wieder arbeiten gehen. Außerdem habe ich auch das Gefühl, ich werde vergesslicher. Da müssen wieder mehr geistige Herausforderungen kommen! 

Meine freie Zeit begann im März in Spanien zu Beginn der „Corona-Zeit", als ich noch - mit vielen anderen - dachte, dass die Aufregung übertrieben sei und alles nach ein paar Wochen vorbei sei. Damals hörte ich erstmalig von rund 25.000 Grippetoten in der Saison 2017/18 (RKI-Angaben) und dachte, da könne COVID-19 auch nicht schlimmer werden. Inzwischen habe ich gelernt, dass es 1.674 nachgewiesene Grippetote gab, der Rest ergibt sich aus Hochrechnungen und der „Übersterblichkeit“. Es wird nämlich nur selten konkret auf Influenza getestet. Die Übersterblichkeit beschreibt, um wie viel die Zahl der Sterbefälle in einem Jahr mit einer Epedemie/ Pandemie höher liegt als in einem „normalen“ Vergleichsjahr.
In Spanien lernte ich dann schnell, dass es wohl doch schwieriger wird, als mit einer „normalen“ Grippewelle: Unklarheit bei den Übertragungswegen, mehr Krankenhausaufenthalte wegen der Schwere und Beatmungspflicht, mehr Tote und das alles ohne Schutzimpfung und anfangs ohne Sicherheit, welche Behandlungen und Medikamente den schwer Erkrankten helfen könnten. Weltweit haben wir inzwischen 46 Millionen nachgewiesene COVID-19 Fälle, täglich kommen 200.000 bis 300.000 hinzu und es gibt fast 1,2 Million Tote mit einem Nachweis von COVID-19. In Deutschland allein haben wir bislang über 518.000 Fälle und über 10.450 Tote, die positiv auf COVID-19 getestet sind, täglich kommen gerade über 15.000 Neuinfektionen hinzu. Unsere Nachbarländer Frankreich (+49.000 neue Fälle gestern), Niederlande (+17.000), Belgien (+20.000), Schweiz (+9.300), Tschechien (+13.600) und Polen (+21.600) haben absolut wie relativ deutlich höhere Infektionszahlen als Deutschland und manche stehen vor der Überlastung ihrer Gesundheitssysteme. Wir wissen inzwischen, das nicht nur das Virus das Problem ist, sondern bei schweren Verläufen auch der Umgang des Körpers damit, die sogenannte Immunantwort: Entzündungen im ganzen Körper (z.B. Niere), Gerinnungsstörungen und sogar Trombosen.  

Die geplante Frachtschiffreise nach New York im Mai/ Juni und der geplante Besuch im Mai in England wurden für mich unmöglich. Bis heute gibt es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes und einen Einreisestopp für EU-Bürger*innen in die USA. Bis Juli gab es auch eine Quarantäne-Pflicht in UK und die Reise per Flugzeug oder Zug/Schiff war mir zu risikoreich. 
Andere Sehnsuchtsorte habe ich hingegen besuchen können: Brüssel und Paris im August und Venedig im September. Ebenso war es sehr schön in meinen verschiedenen Wohn- und Heimatorten Zeit zu verbringen. In Hagen, Berlin, Bern, Brüssel oder Potsdam alte und neue Wege zu gehen, Freunde und Familie zu treffen. Gerade in Berlin und Potsdam genoss ich es sehr wieder ins Museum zu gehen oder einfach durch die Gegend zu spazieren und zu schauen, was sich verändert (hat). 

Ich versuchte das jeweilige Wissen zu COVID-19 in meine Planungen einzubeziehen und scheine das auch gut geschafft zu haben: Ich habe mich niemals krank gefühlt und meine „Kontaktpersonen“ auch nicht. Meine CORONA-App zeigte bisher sieben „grüne“ Begegnungen. Der COVID-19-Test nach den Besuchen in Brüssel und Paris in der ersten Augusthälfte und damit knapp vor den Reisewarnungen für Brüssel (21.08.) bzw. Paris (24.08.), war negativ. Ich bin - so oft es ging - im Zug 1. Klasse gefahren, war zwischen den Reisen meist 10-14 Tage zu Hause und trage sowieso meist eine Maske, wenn es mir zu eng wird. Das taten auch viele Menschen in Brüssel, Paris oder Venedig, egal, ob vorgeschrieben oder nicht. Nur in Bern war die Akzeptanz im September sichtbar geringer und das Distanzgefühl weniger sensibel. 

Die Gruppe „Urlaub gegen Hand für Frauen" bei Facebook war eine tolle Option für mich während der strengsten Phasen der CORONA-Einschränkungen in Deutschland. Ich konnte die Gastgeberinnen durch meine Hilfe unterstützen und trotz geschlossener Hotels etwas Deutschland entdecken: Eifel und Oberpfalz. Die Möglichkeiten der Organisation WWOOF, freiwillige Arbeit in der Landwirtschaft zu leisten, habe ich, entgegen meiner ursprünglichen Pläne, nur ein Mal genutzt. Ich lernte so ein bisschen das Rheingau kennen und viele sehr nette Esel. 

Neulich wurde ich gefragt, was denn nun die schönste Zeit war. Die Antwort ist einfach: Jeder Tag war besonders. Die Freiheit zu entscheiden, wie ich die Zeit gestalte war wunderbar. Ich beobachtete zu Hause beim Frühstück und Lesen auf der Terrasse die gefiederten Nachbarn, die Spatzen, Kleiber, Kohl- und Blaumeisen, Rotkehlchen, Tauben und die neugierigen Nebelkrähen, freute mich übers WDR2 oder Musik hören. Ich hatte Zeit und Lust morgens Yoga zu machen, Sachen zu sortieren, herumzukramen, zu rennen, zu wandern oder es auch zu lassen. Ab Mitte Oktober ging’s auch wieder ins Fitnessstudio in Potsdam oder ins Schwimmbad. Morgens war es leer und ich konnte zwischen den Rentner*innen langsam wieder Kraft aufbauen. 

Die Zeit mit netten Menschen und an schönen Orten war ein großes Geschenk. Ich hatte oft das Gefühl, dass die möglichen Kontakte und Begegnungen intensiver waren, nicht nur ich hatte mehr Zeit und weniger Verpflichtungen. Ich konnte sehr viel draußen sein, was sehr meinen Interessen entspricht. Vielleicht war es auch ein Glück für mich, dass es wegen COVID-19 gar nicht möglich war länger voraus zu planen. 

Wenn ich zurückblicke auf den inneren Dialog vom Februar so hat die Optimistin - natürlich - recht gehabt: Ich habe die richtigen Entscheidungen getroffen und es war auch nicht langweilig. Ich habe über mich gelernt, dass ich die Zeit genießen konnte, dass ich auch gar keine Sorge hatte, wie es im Büro läuft. Ich bin sehr dankbar, dass meine Kolleg*innen mich in Büroangelegenheiten in Ruhe gelassen haben. Es lief vielleicht anders, aber es lief auch ohne mich. 

Es hat mich sehr gefreut dann und wann eine Rückmeldung zu den Berichten zu bekommen, zu hören, dass meine Reisen und Entdeckungen auch manche von euch mitgenommen haben, wenn es gerade wegen des Lock-downs, bestehender Reisebeschränkungen oder aus anderen Gründen nicht ging. Durch das Aufbereiten meiner Erlebnisse und Gedanken für diesen Blog habe ich zusätzliche Hintergründe kennengelernt und Zusammenhänge gesehen.

Die acht Monate haben mir sehr gut getan, auch körperlich: Es geht meinem Rücken und meinem Nacken ohne sitzende Tätigkeit und Anspannung am Schreibtisch deutlich besser. Der Tinnitus ist mir leider treu geblieben, aber ich kann damit leben. Die Hitzewellen nerven weiter, aber auch daran kann ich nichts ändern, das sind eben die Hormone in den „Wechseljahren“. Ich fühle mich gut, wenn ich am Montag wieder ins Büro zurückkehre. Ich bin für die „geschenkte Zeit" dankbar und werde mich schnell wieder im Büro „einleben". Die Erinnerungen an die freie, selbstbestimmte Zeit werden mir ab und zu den Moment versüßen. Ich bin mir sicher, dass mir ab und zu die schönen Begegnungen, die netten Esel und der weite Blick über Berge oder Meer fehlen werden. Ich denke nicht, dass ich nochmals einen Vertrag über eine weitere Freistellung abschließen möchte, da bis zur Rente in 2030 sowieso nur noch gut neun Jahre übrig sind. Bleiben wir flexibel und vor allem: Bleiben wir gesund! 











Donnerstag, 29. Oktober 2020

🇩🇪 Die letzte Woche

Tja, da war sie nun: Die letzte Woche. Sie kam nicht überraschend, genauso wenig wie der Start vor fast acht Monaten. Am Sonntag begann ich zum ersten Mal darüber nachzudenken, was ich in dieser letzten Woche noch machen möchte. Was ist mir noch wichtig bevor ich wieder ins Büro gehe? Vielleicht mal wieder ein Brot backen, ein paar neue Rezepte ausprobieren, ein Bummel durchs Designer-Outlet in Wustermark oder über die Schlossstrasse in Berlin? Sehr gefreut habe ich mich über die „geschenkte Stunde “ am Wochenende, wurde ich doch nach der „objektiven“ Uhr früher wach und hatte mehr vom Tag. Meine innere Uhr hatte auch noch ein bisschen Zeit, sich daran zu gewöhnen, dass es immer viel früher ist, als gefühlt, es morgens heller und abends schon so früh dunkel ist. Ich hoffe immer noch, dass die Zeitumstellung irgendwann abgeschafft wird. 

Am letzten Samstag unternahmen wir wieder einen Ausflug nach Berlin. Das erste Ziel war das Pergamon- Panorama von Yadegar Aisisi. Echt beeindruckend, dieses „Pausenprogramm“ und spätere Ergänzung zum Pergamonaltar, wenn das Pergamonmuseum in ein paar Jahren wieder vollständig besichtigt werden kann. Assisi hat sich bemüht, die antike Stadt Pergamon an der kleinasiatischen Westküste im Jahr 129 n. Chr. darzustellen. Er rekonstruierte den Zustand der Stadt in der römischen Kaiserzeit unter Kaiser Hadrian (117-138 n. Chr.) und stellt neben dem Altar auch ein Theater und die Akropolis der Stadt als Mischung von Fotos realer Berliner*innen und rekonstruierter Landschaft dar. Er selbst hat sich ins Bild „eingebaut“, ebenso wie die „Frau mit den zwei linken Füßen“ oder mal Doppelungen von Personen im Panorama. Es machte mir viel  Spaß  mit den Augen herumzuspazieren. Einer der Sicherheitsleute hatte zudem viel Spaß daran auf Besonderheiten hinzuweisen. Weiterhin gehören Werke aus Antikensammlung aus Pergamon zur Ausstellung, z.B. Frauenstatuen, Porträts der Könige und der Telephosfries. Telephos gründete die Stadt Pergamon. 

Ich bin 1982-1985 fast täglich mit der U7 aus Neukölln bis zur Endstation Rohrdamm und dann ab Oktober 1984 bis zur Station Zitadelle gefahren, um zur Ausbildungsstätte in der Zitadelle zu gelangen und war doch nie in der Jungfernheide. Ich wusste noch nicht einmal, wo sie konkret liegt und wie groß sie ist. Diese Wissenslücke ist seit Sonntag geschlossen. Die Jungfernheide umfasst Flächen nördlich und südlich des Flughafens Tegel. Sie war bis etwa 1800 Jagdrevier, ebenso wurden hier Todesurteile durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen bis 1813 vollstreckt. Ab 1824 waren in der Jungfernheide Exerzier- und Schießplätze, zwischen 1896 und 1901 entstanden Kasernen für das Luftschiffer-Bataillon Berlin-Jungfernheide. Der S-Bahnhof wurde 1877 eröffnet, der U-Bahnhof gut 100 Jahre später im Jahr 1980. Die Stadt Charlottenburg erwarb 1904 vom preußischen Staat ein Teilstück der Jungfernheide von etwa 200 ha für die Anlage des Stadtparks. Der Park wurde dann jedoch erst ab 1920 eingerichtet und gestaltet. Die Sportplätze, Kinderspielplätze,  der Jungfernheideteich mit Freibad und der Wasserturm entstanden bis 1923, eine Freilichtbühne wurde 1925 fertig. Ein Gehege für Schwarz- und Damwild wurde 1931 eröffnet. Der Stadtpark/Volkspark liegt südlich des Flughafens Tegel, von dem wohl übernächste Woche das letzte Flugzeug abhebt. Nach dem Krieg wurde der Park langsam wieder aufgebaut,  finanzielle Unterstützung kam in den 2010er Jahren auch von der UNESCO, das Wildgehege gab es noch bis 2013. Heute gibt es auch einen Klettergarten, an dem am sonnigen Sonntag ziemlich viel Betrieb war. Wir spazierten weiter durch den Wilhelm-von-Siemens Park zur Siemens-Siedlung am Rohrdamm, die 1922 bis 1929 gebaut wurde. Wilhelm Siemens war ab 1880 bei Siemens & Halske tätig, ab 1884 als Mitinhaber. Außerdem leitete er die Siemens-Schuckertwerke GmbH, die u. a. in Biesdorf Luftschiffe baute.

Am Montag, Mittwoch und Donnerstag sportelte ich im Wasser und an Land. Am Dienstag war ich dann im Outlet in Wustermark und anschließend in der Döberitzer Heide ein bisschen spazieren. Die Döberitzer Heide ist seit 1997 vor allem ein Naturschutzgebiet auf einem ehemals 5.000 Hektar großen Truppenübungsplatz, der zwischen 1713 und 1991 genutzt wurde, zuerst von Friedrich Wilhelm I., zuletzt von der Roten Armee. Durch die militärische Nutzung mit Schiesübungen und Bränden entstand eine wertvolle Offenlandschaft mit Heiden, Sandflächen und Trockenrasen, ein Lebensraum für viele zum Teil sehr seltene Arten, darunter vom Aussterben bedrohte Pflanzen, Urzeitkrebse, seltene Käfer, Wespen- und Bienenarten, Vögel wie Seeadler und Säugetiere wie den Fischotter. Rund 3.600 Hektar gehören heute zu einem Wildnisgroßprojekt der Heinz-Sielmann-Stiftung u.a. mit dort ausgewilderten Rothirschen, Wisenten und Przewalski-Pferden in einer umzäunten „Wildniskernzone“ (1.860 Hektar). Diese wird von einer „Naturerlebnis-Ringzone“ umschlossen: Hier pflegen Galloway- und Heckrinder, verschiedene Schaf- und Ziegenrassen, Sardische Hausesel sowie Konikpferde die Landschaft. Diese Zone ist durch verschiedene Wanderwege mit  Rast- und Aussichtspunkten erschlossen. Die Charlottenburger und Spandauer „Heerstrasse“ wurde übrigens 1903 bis 1911 als Verbindung zwischen dem Truppenübungsplatz und dem Berliner Stadtschloss gebaut. 1910 wurde der Flugplatz Döberitz eröffnet. Während der Olympischen Spiele 1936 wurde die Döberitzer Heide für die militärischen Wettkämpfe genutzt. Der südliche Teil der Döberitzer Heide (550 Hektar) ist heute noch Standortübungsplatz für in Berlin und Potsdam stationierte Einheiten der Bundeswehr.

Heute war ich nach dem Schwimmen im“blu“ kurz im Büro für eine kurze Übergabe. Für die Zeit meiner Freistellung war eine Kollegin befristet eingestellt worden, sie hat morgen ihren letzten Tag. Sie brachte mich auf den aktuellen Stand. Es fühlte sich für mich alles sehr vertraut an.


Freitag, 23. Oktober 2020

🇩🇪 Familie, Alliierte und Kunst

Am letzten Samstag fuhren wir mit dem Zug für ein verlängertes Wochenende nach Köln. Wir gingen im Stadtwald spazieren, besuchten den Kölner Dom, bummelten etwas in der Innenstadt und verbrachten eine schöne Zeit mit der Familie. Köln steht bei uns auf der Liste möglicher „Altersruhesitze", deshalb spazierten wir auch durch Wohngegenden wie Lindenthal. Nach der Rückkehr stand wieder etwas mehr Sport auf dem Programm. Ich ging Mittwoch ins Fitnessstudio und am heute wieder ins Schwimmbad für die Standarddistanz von 1.000 m. Es ist schon anstrengend nach so langer Pause wieder systematischer zu trainieren. Es tut aber auch gut mich anzustrengen und etwas zu verausgaben.

Am Donnerstag fuhren wir nach Zehlendorf und spazierten vom Mexiko-Platz zum Alliierten-Museum an der Clayallee. Das Museum zu den Aktivitäten der „West-Alliierten" zwischen 1945 und 1994 wurde 1998 im ehemaligen US-Kino „Outpost" - einem Gebäude von 1953 -  und in der benachbarten ehemaligen Nicholson-Gedenkbibliothek des amerikanischen Stützpunkts eröffnet. Der Träger des Museums ist ein gemeinnütziger Verein, den die Bundesrepublik Deutschland, das Land Berlin, Frankreich, Großbritannien, die USA sowie das Deutsche Historische Museum Berlin und das Institut für Zeitgeschichte in München im Jahr 1996 gegründet haben. Seit 2015 stehen Bundesmittel für einen Umzug des Museums zum ehemaligen Flughafen Tempelhof bereit, geplant war er 2020/2021. Vor-Ort war davon nichts zu bemerken. In Tempelhof wäre sicher mehr Platz für die großen Ausstellungsstücke wie Flugzeuge oder Autos. 

Im ehemaligen Kino geht es um die Zeit vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Luftbrücke 1948/1949. Auf Landkarten werden die Sektoren gezeigt, es sind Uniformen, Fotos und die ersten Zeitungen zu sehen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Luftbrücke: Die West-Alliierten versorgten 2,2 Millionen West-Berliner*innen und ihre in Berlin stationierten Truppen während der Blockade West-Berlins (24. Juni 1948 bis 12.Mai 1949) und darüber hinaus. Vom 26. Juni 1948 bis 30. September 1949 flogen amerikanische, britische, australische, neuseeländische und südafrikanische Piloten in Flugzeugen der U.S. Air Force und der Royal Air Force mit rund 2,34 Millionen Tonnen Fracht insgesamt knapp 278.000 mal von Frankfurt (Main), Wiesbaden, Fassberg, Celle, Wunsdorf, Lübeck und Schleswig mit Kohle, Benzin, Lebensmitteln, Getreide und Medikamenten nach Tempelhof, Gatow und - ab Dezember 1948 - auch nach Tegel. Zwischen Hamburg-Finckenwerder und dem Großen Wannsee gab es außerdem außerhalb der Frostperiode eine Verbindung mit Flugbooten. Etwa zwei Drittel des Transportvolumens bestand aus Steinkohle für die wenigen Kraftwerke im Westen (Charlottenburg, Moabit, Wilmersdorf, Unterspree, Steglitz, Schöneberg sowie Kleinkraftwerke von großen Industriebetrieben wie Borsig) und für die Bevölkerung. Auch Bauteile für den Wiederaufbau des Kraftwerks West in Spandau kamen notgedrungen über die Luftbrücke. Neben Briten und US-Amerikanern flogen auch Piloten aus Australien, Neuseeland, Kanada und Südafrika. Die Franzosen engagierten sich durch den Bau des Flughafens Tegel, der von August bis November 1948 in nur 90 Tagen unter großem Einsatz der Berliner*innen gebaut und Anfang Dezember offiziell eröffnet wurde. Die amerikanischen, aber vor allem die britischen Flugzeuge transportierten auch Passagiere aus Berlin heraus. So nahmen sie z.B. Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Gebieten bzw. der sowjetischen Zone oder Kinder aus Berlin zur Erholung in Westdeutschland mit. Beim Anblick der Bilder und lesen der Geschichten wurde mir wieder einmal deutlich, warum die „Besatzer“ von den West-Berlinern vielfach so positiv gesehen wurden, sie wurden als „Schutzmacht“ empfunden, auch wenn die Panzer zur Truppenparade mal wieder die Straße ruinierten und dabei auch ein paar Mythen zur Luftbrücke entstanden sind. 

In der ehemaligen Bibliothek geht es um das Alltagsleben in den amerikanischen, britischen und französischen Garnisonen. Es gibt auch das restaurierte Segment eines Spionagetunnels, der Anfang der 1950er Jahre vom amerikanischen und britischen Nachrichtendienst zwischen Rudow und Alt-Glienicke gebaut wurde, um die sowjetischen Kommunikationslinien anzuzapfen. Draußen steht ein britisches Transportflugzeug vom Typ Handley Page Hastings T.M k.5, der Eisenbahnwaggon eines französischen Militärzugs, das letzte Wachhäuschen vom Kontrollpunkt Checkpoint Charlie, ein Mauerrest und ein Grenzkontrollturm der DDR. Das Flugzeug war als Kohletransporter in der Luftbrücke  im Einsatz, es war bis 1977 im Einsatz, stand dann 20 Jahre als „Gate Guard“ auf dem ehemaligen Luftwaffenstützpunkt der britischen Streitkräfte in Berlin-Gatow, bevor sie dem Museum geschenkt  wurde. Der Wachmann im Museum erzählte uns, dass der Umzug von Gatow zur Clayallee im Jahr 1997 mit Hilfe eines russischen Transporthubschraubers durchgeführt wurde. 

Für die Vollständigkeit: Die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte aus der russischen Sicht ist der Schwerpunkt des heutigen Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst: Am 5. November 1967 wurde im ehemaligen Offizierskasino der Wehrmachtspionierschule das Museum der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland eröffnet und 1986 in "Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands im Großen Vaterländischen Krieg" umbenannt. Das Museum wurde nach der Wende umgestaltet und am 10.05.1995 als Deutsch-Russisches Museum wiedereröffnet. Die Ausstellung wurde zuletzt 2009-2013 aktualisiert. Die Träger des Museums sind seit 1994 die Bundesrepublik Deutschland, die Russische Föderation und verschiedene Museen in Deutschland, Russland und der Ukraine. 

Heute waren wir im Museum Barberini in Potsdam, dort sind seit 5. September 2020 über 100 impressionistische Gemälde aus der Sammlung des Museumsgründers Hasso Plattner zu sehen. Die Bilder von Claude Monet, Alfred Sisley, Auguste Renoir, Paul Signac, Camille Pissarro, Henri-Edmont Cross, Maurice de Vlaminck sollen als „Dauerausstellung“ im Museum bleiben. Es ist immer wieder eine große Freude, dass wir dieses tolle Museum hier in Potsdam haben. 


Freitag, 16. Oktober 2020

🇩🇪 Ausflüge nach Berlin und Oranienburg

Am Montag unternahmen wir einen Ausflug nach Lichtenberg. Zuerst besuchten wir den Zentralfriedhof Friedrichsfelde von 1881, wo auch die Gedenkstätte der Sozialisten mit den Gräbern von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Ernst Thälmann, Otto Grotewohl, Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht ist. Daneben steht seit 2006 ein Gedenkstein mit der Aufschrift „Den Opfern des Stalinismus“. Es gibt weiterhin Gedenktafel mit den Namen der Toten und Ermordeten aus der Weimarer Republik, aus dem spanischen Bürgerkrieg und dem antifaschistischen Widerstand 1933–1945. Begraben sind auf dem Friedhof der SPD-Gründer Wilhelm Liebknecht (1900), Käthe Kollwitz (1945) sowie  Konrad (1982) und auch Markus Wolf (2006), dem  ehemaligen Chef (1952-1986) der „Hauptverwaltung Aufklärung“, dem Auslandsgeheimdienst der DDR. Vom Friedhof spazierten wir nach Norden in den heutigen Landschaftspark Herzberge, einem ehemaligen Rittergut von Hermann Roederder, das später zum Gut der Städtischen Irrenanstalt Herzberge wurde. Es waren landwirtschaftliche Anbau- und Weideflächen sowie Werkstätten, in denen auch Patient*innen arbeiteten. Im Laufe der Zeit änderten sich die Nutzungen der Flächen und Gebäude, die Strassenbahntrasse wurde bis Marzahn verlängert. Die ehemaligen landwirtschaftlichen Flächen wurden zum VEG Gartenbau, das 1981 eine großflächige Gewächshausanlage errichtete. Das VEG Gartenbau gab nach der Wende schrittweise die Bewirtschaftung auf. Das Gelände wurde bis Ende der 1990er Jahre von Folgefirmen genutzt und stand dann leer. Die Agrarbörse Deutschland Ost e. V. initiierte ab 2004 zusammen mit dem Bezirksamt Lichtenberg eine Reihe geförderter Projekte zur naturnahen Entwicklung des Gebiets zu einem Modellvorhaben urbaner Landwirtschaft. Die wirtschaftliche Nutzung erfolgt durch Gartenbau, umweltverträgliche Fischzucht, Bienenvölker, Streuobstwiesen und extensive Beweidung der Flächen mit Rauhwolligen Pommerschen Landschafen. Die vorhandenen Funktionsgebäude wie das Heizhaus und die Garagen des VEG Gartenbau werden jetzt teilweise durch die „StadtFarm“ als Lager- und Betriebsflächen inklusive Fischzucht genutzt. Daneben sind die Flächen attraktive Ziele für die Naherholung. Das gesamte Gelände wurde 2007 zum Landschaftspark Herzfelde, im Jahr 2019 zum Landschaftsschutzgebiet. Der ehemalige Rangierbahnhof „Anschluss Roeder“ wurde 2011/2012 abgerissen. Auf dem Gelände des alten Lichtenberger Stadions wurde im September 2013 eine weitere Weidefläche für die Schafe erstellt. Nördlich schließt sich dann das Evangelische Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge (KEH) an. Es wurde 1992 aus dem Königin-Elisabeth-Hospital in Oberschöneweide und dem Fachkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie Berlin-Lichtenberg gegründet. Es ist heute ist ein Krankenhaus der Notfall- und Regelversorgung. Das war nicht immer so. Am Standort in Lichtenberg entstand 1893 die II. Städtische Irrenanstalt für 1050 erwachsene Patient*innen. In der nationalsozialistischen Zeit wurden hier Menschenversuche unternommen, viele Patient*innen bis 1942 getötet. Als „Städtisches Krankenhaus“ bestand es bis 1945, nach Kriegsende wurde es als Allgemeinkrankenhaus weitergeführt. Im Jahr 1946 kamen die Patient*innen des Königin-Elisabeth-Hospitals hinzu, nachdem sie im November 1945 von der Roten Armee am Standort Oberschöneweide ausgewiesen worden waren. Das Königin-Elisabeth-Hospital wurde benannt nach Elisabeth Ludovika, Ehefrau von Friedrich Wilhelms IV.  und Tante von Kaiserin Elisabeth („Sisi“) von Österreich. Königin Elisabeth unterstützte ab 1838 die Gründung von Kleinkinder-Bewahranstalten, aus denen ab 1844 am Halleschen Tor (Pionierstraße 7a) das Elisabeth-Kinder-Hospital (EKH) mit 60 Betten wurde. Ab etwa 1875 kam eine kostenfreie ambulante chirurgische und Augen-Behandlung hinzu. Im Jahr 1887 zog das Krankenhaus um zur Hasenheide 80– 87, dort gab es Platz für bis zu 90 Kindern.  Das Hospital entwickelte sich zu einem bekannten eigenständigen Kinderkrankenhaus in Berlin. Als Filiale des EKH wurde am 7. Juli 1890 in Dźwirzyno (Kolberger Deep) ein Kinder-Seehospiz eingeweiht, das für die Aufnahme von Kindern überwiegend aus Berlin bestimmt war. Es folgte 1908 die Gründung einer Krankenpflegeschule und 1908-1910 der EKH-Neubau mit 130 Betten in der Treskowallee in Oberschöneweide für Kinder und Erwachsene (Chirurgie, Innere). Am 8. Mai 1945 wurde ein Teil des Krankenhauses von der Roten Armee besetzt und dann als Lazarett genutzt. Im November 1945 erfolgte die Ausweisung der bisherigen Patient* innen.

Am Mittwoch besuchten wir das Museum Berggruen in Charlottenburg, gegenüber vom Schloss in einem der beiden „Stülerbauten“, die 1851-59 als Offiziers-Kasernen der Gardes du Corps von Friedrich Wilhelm IV. von August Stüler erbaut wurden. In dem einen Gebäude war 1967 bis 2005 das Ägyptische Museum, in dem anderen 1960 bis 1995 die „westliche“ Antikensammlung , beide sind heute auf der Museumsinsel. In das Gebäude der Antikensammlung zog später die Sammlung von Heinz Berggruen ein. Der Sammler und Kunsthändler wurde in Wilmersdorf geboren und emigrierte 1936 in die USA, seine deutsche Staatsbürgerschaft wurde ihm entzogen. Er kämpfte im 2. Weltkrieg in der US Armee für die Befreiung Deutschlands. Er lebte danach als Kunsthändler in Paris bis er 1996 seine große Sammlung mit mehr als 100 Picassos, 60 Bildern von Paul Klee und 20 von Matisse der Stiftung Preußischer Kulturbesitz verkaufte und dann auch wieder selbst in Berlin lebte. Das Museum Berggruen beheimatet neben Picasso, Klee und Matisse auch Werke von Alberto Giacometti, Paul Cézanne und Georges Braque. Später spazierten wir noch durch Zilles Kiez zwischen Schlossstrasse und Klausener Platz. Eine Neuentdeckung für mich war der Ziegenhof in der Danckelmannstrasse. Ein Projekt, das 1982 auf einer Fläche gestartet wurde, die eigentlich für einen Neubau im Block 128 „entkernt“ worden war. Heute leben dort Ziegen, Hühner und Bienen, es gibt Hochbeete, eine Kita und einen Spielplatz.

Übrigens haben wir eine praktische App der Berliner Tourismusorganisation visitBerlin entdeckt: „ABOUT BERLIN“. Ein gibt Routen und ein paar Informationen zu interessanten Orten in der Stadt, das Angebot wächst stetig. 

Am Freitag fuhren wir zur Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg. Das  Konzentrationslager Sachsenhausen war das erste KZ, das durch einen SS-Architekten geplant wurde. Der SS-Architekt Bernhard Kuiper entwarf ein gleichseitiges Dreieck, in dessen Fläche sich das Häftlingslager, die Kommandantur sowie das SS-Truppenlager befand. Hierhin wurden zwischen 1936 und 1945 etwa 200.000 Häftlinge aus ca. 40 Nationen deportiert. Erst politische Gegner des NS-Regimes, dann in immer größerer Zahl Angehörige der von den Nationalsozialisten als rassisch und/oder sozial minderwertig erklärten Gruppen, also Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma, weiterhin Zeugen Jehovas und ab 1939 auch Menschen  der von den Nazis besetzten Staaten wie Österreich, Polen, Frankreich oder den Niederlanden. Zu den Häftlingen gehörten der SPD-Politiker Rudolf Breitscheid, der Hitler-Attentäter Georg Elser, der Journalist Gerhard Löwenthal (ZDF-Magazin), der Verleger Peter Suhrkamp, der polnische Schriftsteller Andrzej Szczypiorski und Martin Niemöller (1938 bis 1941) als „persönlicher Gefangener“ Hitlers als einer von inhaftierten 230 Geistlichen. Niemöller schrieb später „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ Zu den Häftlingen gehörten auch protestantische Widerstandsfrauen aus den Niederlanden und mehrere tausend katholische Laien der französischen Résistance. Die Häftlinge wurden zur Zwangsarbeit in der Schneiderei, Tischler-, Schlosser- und Elektrikerwerkstätten eingesetzt oder ab 1942 in den über 100 Aussenlagern und -kommandos bei den Heinkel-Werken in Oranienburg, der Veltener Maschinenbau oder bei Berliner Industriebetrieben wie Siemens, DEMAG-Panzer, Henschel-Werke Berlin, Daimler-Benz, I.G. Farben und AEG sowie BRABAG Schwarzheide. Zehntausende Häftlinge starben an den Folgen von Hunger und Gewalt im KZ. Arbeitsunfähige wurden in Sammeltransporten nach Auschwitz transportiert oder vor Ort ermordet. Es gab so absurde Dinge, wie eine Schuhprüfstrecke: Hier testeten Häftlinge Sohlenmaterial für die deutsche Leder- und Schuhindustrie, dazu mussten sie bis zu 40 Kilometer täglich auf verschiedenen Wegoberflächen marschieren. Im August 1941 wurden über 12.000 sowjetische Kriegsgefangene in einer neu eingerichteten Genickschussanlage getötet, ab 1942 gab es eine Gaskammer. Die Räumung des KZ Sachsenhausen durch die SS begann am 21. April 1945. Die verbliebenen 33.000 Häftlinge wurden in Gruppen zu 500 auf den Todesmarsch nach Nordwesten geschickt. Ab August 1945 wurde das Gelände des KZ Sachsenhausen von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) als „Speziallager Nr. 7“ genutzt, es wurden Sozialdemokraten, NS-Funktionäre und Gegner der neuen politischen Ordnung interniert. Ende 1945 war das Lager wieder voll belegt (12.000 Personen), 1946 mit bis zu 16.000 Personen, unter ihnen der Schauspieler Heinrich George, der hier auch 1946 starb. Die DDR schloss das 1948 in „Speziallager Nr. 1“ umbenannte Lager im Jahr 1950 als letztes der Speziallager, es wurden ca. 8000 Häftlinge entlassen, eine kleinere Gruppe in die Sowjetunion transportiert. Der Besuch hinterlässt mich wieder erschüttert, was Menschen anderen Menschen antun, wenn es in eine für sie nachvollziehbare Ideologie eingebettet ist. Der Besuch macht mich auch wieder nachdenklich, warum es immer wieder solche Menschenverachtung gibt, Menschen so viel Hass oder emotionale Kälte entwickeln können. 


Sonntag, 11. Oktober 2020

🇩🇪 Touristin zu Hause

Am Donnerstag vor einer Woche fuhr ich von Rüdesheim nach Hause. Am folgenden Freitag freuten wir uns über unseren 11. Hochzeitstag und am Samstag begann eine weitere Entdeckungsphase in Berlin und Brandenburg. Wir kauften uns wieder eine Jahreskarte für die Staatlichen Museen in Berlin und besuchten am Samstag die Sonderausstellung „Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme“ in der James-Simon-Galerie. Ich lernte, dass es die Germanen nie als Volk oder Staat gab, sondern es Gemeinschaften waren, die zwischen dem 1. Jahrhundert vor und dem 4. Jahrhundert nach Christus die Gebiete rechts des Rheins und nördlich der Donau besiedelten. Caesar nannte sie „Germanen“. Zu sehen sind einfache Gebrauchsgegenstände einer Agrargesellschaft, aber auch üppige Beigaben aus Silber, Gold und Glas aus Gräbern der Reicheren. Es gibt auch Funde zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den germanischen Stammesverbänden untereinander. In einem zweiten Teil der Ausstellung geht es um die museale Rezeption des Blicks auf die Germanen in den Berliner Museen im 19. und 20. Jahrhundert mit dem Titel „Germanen. 200 Jahre Mythos, Ideologie und Wissenschaft“.

Danach besuchten wir noch die Sonderausstellung „Chaos & Aufbruch- Berlin 1920|2020“ im Märkischen Museum. Am 1. Oktober 1920 wurden durch das „Groß-Berlin-Gesetz“ 27 Gutsbezirke, 59 Landgemeinden sowie die bis dahin selbständigen Städte Charlottenburg, Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Spandau und Wilmersdorf nach Berlin eingemeindet. Die Einwohnerzahl wuchs auf 3,8 Millionen, das Stadtgebiet wurde 13x größer. Berlin wurde neben New York und London zu einer der größten und bevölkerungsreichsten Städte der Welt. Ich lernte mehr über die verschiedenen politischen Ansätze, die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Stadt für alle zu verbessern, auch durch eine einheitliche Verkehrs- und Siedlungspolitik. Ein  praktisches Ergebnis der Arbeit des ehemaligen Verkehrsstadtrats Ernst Reuter sehe ich in der BVG und seit der Wende auch dem vbb, die den öffentlichen Nahverkehr einfacher und günstiger machen, als es z.B. in NRW geht mit den vielen Tarifgrenzen und damit viel höheren Preisen: Die rund 35 km Hagen- Wuppertal kosten im VRR 12,80€ pro Richtung, Potsdam-Köpenick oder Potsdam- Bernau (je ca. 50 km) gerade mal 3,60€. Vom Märkischen Museum spazierten wir noch etwas durch die Gegend und besuchten dann die autofreie Friedrichstraße. 

Am Mittwoch bin ich mit dem RE 1 nach Brandenburg an der Havel gefahren, um das Archeologische Landesmuseum zu besuchen und etwas durch die Stadt zu spazieren. Die Brandenburg war eine slawische Niederungsburg im 8. bis 12. Jahrhundert auf der Havelinsel, auf der heute u.a. der Dom St. Peter und Paul steht. Die Sammlung des Museums umfasst Fundstücke aus der Region, die heute das Bundesland Brandenburg umfasst und auch darüber hinaus, da die politischen Grenzen der Mark Brandenburg bis ins 19. Jahrhundert weiter im Westen (Altmark, Salzwedel) bzw. im Osten (Neumark,  heutige polnische Woiwodschaften Westpommern  und Lubuskie) lagen. Die ältesten Fundstücke des Museums stammen aus der Steinzeit, sind also rund 130.000 Jahre alt: Faustkeile, Pfeilspitzen, Textilien, Schmuck und Schädel. Es gibt Funde aus der Zeit des Neandertalers vor rund 50.000 Jahren. Das älteste Gräberfeld Deutschlands ist auf dem Weinberg bei Groß Fredenwalde in der Uckermark gefunden worden, es ist etwa 7.000 Jahre alt. Die Ausstellung zeigt auch, dass es verschiedene Phasen der Zu- und Abwanderung in der Region gab. Die germanischen Stämme zogen im 5. Jahrhundert Richtung Oberrhein und Schwaben weiter, die Slawen kamen im 6. und 7. Jahrhundert her. Albrecht der Bär (Askanier) eroberte 1157 die Brandenburg und holte Handwerker und Bauern, die aus der Altmark, dem östlichen Harzvorland, Flandern (Fläming) und den Rheingebieten kamen, sie brachten neue Technologien mit. Außerdem lockte man Holländer zur Trockenlegung der Havel- und Elbniederungen mit Land und Steuerprivilegien. Die Orte Angermünde, Eberswalde, Frankfurt, Perleberg, Prenzlau, Spandau und Berlin erhielten unter den Askaniern das Stadtrecht. Berlin-Cölln wurde 1261 Residenzstadt der Askanischen Markgrafen. Die Mittelpunkte des geistlichen Lebens  waren die Bistümer Brandenburg, Havelberg und Lebus sowie die Klöster Lehnin,  Chorin und Zinna. Mit dem Tod Ottos IV starb das Geschlecht der Askanier, ab 1320 bestimmten Wittelsbacher und später Luxemburger etwa 100 Jahre die Entwicklung. Die Goldene Bulle von 1356, das „Grundgesetz “ des Hl. Römischen Reichs bestätigte die Stimme der Markgrafen von Brandenburg als Kurfürsten, also der zehn ranghöchsten Fürsten, bei der Königswahl. Ab 1618 regierten die Kurfürsten von Brandenburg in Personalunion auch das Herzogtum Preußen. Im 18. Jahrhundert bildete sich nach der Königskrönung Friedrichs III. von Brandenburg die Monarchie Preußen als ein neuer europäischer Staat. Damit wurde die Markgrafschaft faktisch eine Provinz Preußens. Die formelle Gründung der Provinz Brandenburg erfolgte 1815 nach der Neuordnung Preußens durch den Wiener Kongress. 

Bei einem Spaziergang durch die Stadt entdeckte ich unerwartet viele sanierte Fachwerkhäuser und auch Jugendstilgebäude. Am Nicolaiplatz besuchte ich die Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde. In den Gebäuden des ehemaligen "Alten Zuchthauses" Brandenburg an der Havel wurde 1939 eine von sechs Mordstätten der sogenannten "Aktion T 4" eingerichtet. In den Jahren 1940/41 wurden über 70.000 kranke, behinderte oder als „asozial“ stigmatisierte Menschen ermordet. In der „Landespflegeanstalt Brandenburg a. H." wurden zwischen Januar und Oktober 1940 ca. 9.000  Menschen aus psychiatrischen Krankenhäusern des nord- und mitteldeutschen Raums einschließlich Berlins durch Giftgas getötet. Offiziell ist die Gedenkstätte eigentlich nur Donnerstag bis Sonntag geöffnet, aber man kann auch an den anderen Tagen klingeln und wird (vielleicht) eingelassen. 

Am Freitag war ich in der Alten Nationalgalerie, zuerst in der Sonderausstellung zum belgischen Symbolismus „Dekadenz und dunkle Träume“: Bilder voller morbider, dekadenter oder dämonischen Motiven, Darstellung der femme fatale als Ausdruck von Überfluss und Wollust von Malern wie den Belgiern Fernand Khnopff und James Ensor oder des Deutschen Franz (von) Stuck. Ich lernte, dass aus Belgien viele Impulse für die Entwicklung des Symbolismus sowohl in Richtung Paris, wie auch London erfolgten und auch, dass der Salon „Les Vingt“ in Brüssel zwischen 1883 und 1893 viele internationale Künstler mit den Belgiern zusammenbrachte, darunter Cezanne, Gauguin, Seurat, van Gogh und Klimt. Die Sammlung der Alten Nationalgalerie war deutlich geringer besucht, als die Sonderausstellung, aber auch wieder interessant. Man sieht ja immer wieder was Neues, auch in bekannten Bildern. 
Gestern machten wir einen „Samstagsausflug" nach Schöneberg. Wir starteten auf der „Roten Insel“, einem Siedlungsbereich im Gleisdreieck zwischen Ringbahn, S1 (Wannseebahn) und S2 (Dresdner-Bahn) zwischen dem Südkreuz und den Yorckbrücken. Die Leberstraße ist die zentrale Strasse im südlichen Teil dieser Siedlung zwischen Kolonnenstraße und dem EUREF-Campus mit dem Gasometer. Im EUREF-Campus stehen die Themen Energie, Mobilität und Nachhaltigkeitarbeiten im Fokus. Es arbeiten, forschen und lernen dort auf ca. 5,5 ha etwa 3.500 Menschen.
Die Bebauung der Insel begann Ende des 19. Jahrhunderts um 1870 und war bis 1918 weitgehend beendet. Es gab zwei maßgebliche Bebauungspläne, einer von 1884, der andere von 1892/1893. Neben den typischen Gründerzeithäusern mit Hinterhöfen, befinden sich die runde, evangelische Königin-Luise-Gedächtniskirche am Gustav-Müller-Platz, die katholische Elisabethkirche an der Kolonnenstrasse und zwei Friedhöfe auf der Insel, der  Zwölf-Apostel- und der Alte St. Matthäus-Kirchhof (1856) an der Großgrörschenstrasse. Die Insel überdauerte die Nazipläne für die „Welthauptstadt Germania“, die ihren kompletten Abriss vorsahen sowie die Luftangriffe auf Berlin weitgehend unbeschadet und auch die Planung ab 1965 bis in die 1990er für eine „Westtangente“ als Verlängerung der Autobahn (A103) vom Schönebeger Kreuz nach Norden, inklusive Tiergartentunnel, die dann als Teil der Hauptstadtplanungen ab 1995 für Autos und Bahn (2006) sowie für die U-Bahn (2009) gebaut wurden. Allein der Alte St. Matthäus-Kirchhof wurde in den Jahren 1938 und 1939 verkleinert, ein Drittel der Grabstätten im nördlichen Teil wurde auf den Südwestkirchhof in Stahnsdorf umgebettet, darunter das Grab von Gustav Langenscheidt. Auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof sind heute nicht nur die Brüder Grimm, Rudolf Virchow, Paul Parey, Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg und Carl Bolle - der mit dem Milchwagen - begraben, sondern auch Rio Reiser und Christian Franz Klusáček alias Chris Roberts. Zu Beginn dieses Jahrhunderts richtete der Verein „Denk mal positHIV“ einen Ort des Gedenkens und der Bestattung für Menschen mit HIV und AIDS ein. Der Verein EFEU e. V. (Erhalten, Fördern, Entwickeln, Unterstützen) kümmert sich seit 2007 um Erhalt und Pflege des Friedhofs und macht Öffentlichkeitsarbeit, seit 2008 gibt es ein Vereinsprojekt zu „Sternenkindern“, eine Ruhe- und Gedenkstätte für Fehlgeburten, Totgeburten und Babys, die während oder kurze Zeit nach der Geburt gestorben sind. 



Montag, 5. Oktober 2020

Bücherliste (aktualisiert)



  1. Artur Becker: Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang (2013) 
  2. Jan Peter Bremer: Der junge Doktorant (2019), Der amerikanische Investor (2011) 
  3. Thomas Mann: Der Zauberberg (1924) 
  4. Saša Stanišić: Herkunft (2019) 
  5. Deborah Feldman: Unorthodox (2012), Überbitten (2017) 
  6. Monika Maron: Flugasche (1981) 
  7. Jacques Berndorf: Eifel-Blues (1989), Eifel-Gold (1993), Eifel-Filz (1995)
  8. Jodi Kantor und Megan Twohey: She said (2019) 
  9. Ian Mc Ewan: The Cockroach (2019),  Erkenntnis und Schönheit (2020) 
  10. Richard Russo: Jenseits der Erwartungen (2020) 
  11. Bettina Munk, Heinz Bude und Karin Wieland: Aufprall (2020) 

Mittwoch, 30. September 2020

🇩🇪 Rheingau und Esel

Von Freitag bis heute früh war ich auf einem Eselshof in Rheinland-Pfalz in der Nähe der Loreley. Ich bin mit dem Zug über Frankfurt (Main) nach St. Goarshausen gefahren und wurde dort abgeholt. Der Ort Bornich wurde vermutlich schon vor rund 2.800 Jahren besiedelt (Bronzezeit). Mit der Eroberung der rechtsrheinischen Gebiete durch die Römer hinterließen auch sie ihre Spuren hier, z.B. durch Straßen oder auch Terrassen an den Hängen des Forstbachtal, in dem ich war.  Der Forstbach mündet bei der Burg Katz in den Rhein.  Ich arbeitete auf einem Hof, der Großesel züchtet. Den Hof, „Odins Mühle“, habe ich über WWOOF gefunden. Die Züchterin und der Züchter verfolgen seit 30 Jahren das Ziel hier gesunde Großesel (über 130 cm Stockmaß) artgerecht aufzuziehen. Es gibt „kuschelige“ Poitou-Esel, katalanische Großesel  und Weiße Barockesel, ein paar Maultiere und eine Kaltblutstute mit Fohlen (2 Monate).  Es gibt Hunde, Hühner und im Tal laufen auch noch zwei Pfaue herum. Die Esel werden pädagogisch-therapeutisch und in der Landschaftspflege eingesetzt, als Zug- und Lasttiere oder für den touristischen Einsatz ausgebildet. Der Betrieb beteiligt sich an Naturschutzmaßnahmen: Umwandlung von  Ackerflächen in Grünland, Blühstreifen, Insektenhotel, Fledermauskästen, Nistkästen etc. Gäste können auf dem Gelände gleich ein Ferienhaus buchen und täglich die sehr freundlichen und kommunikativen Tiere erleben.

Die tägliche Morgenroutine auf dem Hof beginnt bei den Hühnern: Stall öffnen, füttern, Wasser nachschütten, eine Extraportion für eine alte Glucke. Dann geht es weiter mit den jeweiligen Futtermischungen (Hafer oder Schrot) plus Fallobst zu den Eseln und Maultieren, drei einzeln stehenden Hengsten, der Kaltblutstute mit ihrem Fohlen Adele und dann zu den Galloways. Ein Galloway-Bulle steht mit Kühen und Kälbern zusammen. Dort ist Trinkwasser aus dem Wassertank nachzufüllen. Eine Gruppe Färsen, also junge Kühe, die noch nicht geboren haben, steht getrennt, bei ihnen einer der Hengste, auch dort eventuell Wasser nachfüllen. Mit dem Kaltblutfohlen wird ab und zu Halftertragen und am-Strick-geführt-werden trainiert. Nebenbei gehen die beiden Hunde „Gassi“ und finden so allerlei, z.B. Mäuse. Die zweite Eselsherde, eine Stutenherde u.a. mit Poitou-Zwillingen (knapp 5 Monate alt, sowas gibt es echt selten) wird danach noch umgekoppelt. Es ist faszinierend, wie wiederholte Rufe „Esel komm!“ aus dem vorbeifahrenden Auto und ein Eimer Äpfel zur Verstärkung ausreichen, die Herde über 250 m Distanz in Bewegung zu setzten. Die „Morgenroutine“ dauert alles in Allem etwa 1 1/2 Stunden. Am Abend wird ein Hengst und die Stutenherde wieder umgekoppelt und ein Teil der Hühner wieder eingesperrt, die anderen schlafen draußen auf einem Baum. 

Tagsüber standen dann alltägliche Hofarbeiten an: Am Samstag und Montag haben wir eine neue Weidefläche umzäunt. Die Stutenherde kam am Dienstag erstmalig drauf. Der „Umkoppeln“ war wirklich ein „Spaziergang“ im Vergleich zu solch einer Aktion mit Pferden. Kein Esel trägt Halfter, sie kommen mit ein bisschen Unterstützung durch Rufe und vielleicht ein paar Äpfeln einfach mit. 

Dann waren noch Himbeeren zu ernten, im Garten etwas Unkraut zu jäten, die Heuraufe bei den Rindern zu reinigen, auf der neuen Koppel Leinkrautsamen zu „ernten“, um deren Vermehrung auf der Fläche zu reduzieren und Holz für die Gäste bereitzustellen. Es sind eben viele Dinge im Blick zu behalten. Das gelang mir mal besser, mal schlechter. Es war eine gute Zeit für mich und ich konnte neue Dinge lernen über die Landwirtschaft, die Esel und auch über mich. 

Der Umgang mit den Eseln war sehr entspannt und viel unkomplizierter, als ich es mit Pferden gewohnt bin. Esel sind kommunikativ, sie interessieren sich, sind in neuen Situationen nicht auf Flucht eingestellt, wie Pferde oder auch die Maultiere auf dem Hof. Das macht den Umgang sehr angenehm. 

Ein bisschen touristisches Programm machte ich auch noch: Am Sonntag spazierte ich ein Stündchen zur Loreley (4 km), dem berühmten 132 m hohen Felsen an der Rheinkurve bei St. Goarshausen. Ich kannte die Gegend bisher nur aus dem Blickwinkel von „unten"- vom Rhein - hoch zu den Bergen und Burgen. Es ist interessant zu sehen, dass die Landschaft hier „oben" nur leicht wellig mit ein paar Kuppen ist, sich die Flüsse und Bäche jedoch sehr tief eingeschnitten haben, nicht nur der Rhein, sondern auch der kleine Forstbach von der Tür. An der Loreley hat man natürlich einen sehr schönen Blick ins Rheintal. Es gibt ein Besucherzentrum, eine Sommerrodelbahn und ein Gartenlokal. 

Heute habe ich den Eselshof verlassen und bin weiter nach Rüdesheim gefahren, das waren gut 25 Minuten mit dem Zug. Ich spazierte etwas durch den Ort, der bekannt wurde mit Asbach-Uralt, Rüdesheimer Kaffee und der „Drosselgasse “. Später fuhr ich mit einer Seilbahn hoch zum Niederwalddenkmal mit einer pompösen der Germania. Der Anlass zur Erbauung des Niederwalddenkmals war der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 und die anschließende Gründung des Deutschen Kaiserreiches am 18. Januar 1871. Das Denkmal wurde jedoch erst am 28.September 1883 nach zwölf Jahren Planung und Bau eingeweiht. Es besteht neben der monumentalen Germania noch aus patriotischem Heldentext, zwei Alegorien „Krieg“ und „Frieden“ sowie einem Relief mit 133 Personen in Lebensgröße, darunter Wilhelm I zu Pferde umgeben von Generälen und Fürsten aus  Nord- und Süddeutschland und fünf der sechs Strophen des Liedes „Die Wacht am Rhein“. Das Niederwalddenkmal reiht sich ein in die Liste der monumentalen Gedenkstätten des Kaiserreichs, wie dem Deutschen Eck in Koblenz, dem „Hermann“ bei Detmold, dem Kaiser- Wilhelm- Denkmal an der Porta Westfalica, dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, dem Bismarck-Denkmal in Hamburg, dem Barbarossadenkmal auf dem Kyffhäuserberg und der Walhalla bei Donaustauf. 

In Rüdesheim waren nachmittags die Touristen Ü70 unterwegs, abends Ü40 bis um 60. Ich dachte, dass ich gar nicht wissen will, was hier „ohne Corona“ los wäre. Es lagen fünf Kreuzfahrtschiffe vor Anker, zu denen die älteren Reisenden gegen 18 Uhr wieder zurückströmten. Die Kapazität jedes einzelnen Schiffes liegt so zwischen gut 100 bis knapp 200 Passagieren. Die Reisenden kommen aus Deutschland, Schweiz, Niederlande und Skandinavien. Die Läden und Hotels machen auf mich den Eindruck, in den 1970/80ern stehen geblieben zu sein: Mahagoniefurnier und Messinggriffe schmücken auch mein Zimmer im Hotel Felsenkeller, das war nach den Fotos noch die bessere Wahl. Direkt an den Rheinanlegern finden sich Wein- und Asbach-Läden, sehr große Souvenirshops mit Motivgläschen und Fachwerkhäusern aus Plastik, ein paar Restaurants. Es werden billiger Schmuck, billige Taschen, einfache Hüte/Mützen, Pullover aus Synthetikfasern, praktische (Angler-)Westen, Jacken, Schuhe und natürlich - als erste Neuerung seit 30 Jahren - auch Masken angeboten, für 24,95€ auch mit Foto von Rüdesheim. In der berühmten Drosselgasse gibt es auf 144 Metern 5 oder 6 Restaurants, ein, zwei Wein-  und ein paar Souvenirläden. Ich ging abends Wildfleisch-Burger essen, „aus eigener Jagd“. Das scheint mir auch eine jüngere Entwicklung zu sein. War lecker. 

🇨🇭 Einen Rückblick in die Schweiz: Mit gut 61% wurde am 27.09. die Volksinitiative der rechtspopulistischen Partei SVP abgelehnt, die Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union aufzukündigen. Der bezahlte zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub soll kommen (Zustimmung 60,3%) und das neue Jagdgesetz, das den Abschuss von Wölfen erleichtern sollte, wurde mit 51,9 Prozent abgelehnt. Das Budget für neue Kampfflieger steht bereit. 


Donnerstag, 24. September 2020

🇩🇪 Kaum da schon wieder weg!

Am Montagmorgen fuhr der Schnellzug gegen 07:20 Uhr in Venedig ab. Ich war zu Fuß zum Bahnhof gegangen, da ich früh wach war. Erstens schlafe ich immer schlecht, wenn ich per Wecker zu einer ungewohnten Zeit geweckt werden muss und zweitens nervte mindestens eine Mücke kolossal. Es war schön durch die Morgendämmerung zu spazieren.

Es ging erst wieder im Hochgeschwindigkeitszug der Trenitalia von Venedig nach Verona und von dort mit dem italienisch-österreichisch-deutschen „Eurocity“ Bologna-München (EC 88) über die Brennerbahn. Die Strecke der Brennerbahn wurde von 1864 bis 1867 von der k.k. priv. Südbahngesellschaft als Teil der Verbindung von Kufstein nach Ala und weiter in Richtung Verona gebaut. Sie quert den Alpenhauptkamm und führt über Bozen und den Brennerpass nach Innsbruck. Die Stecke ist auf italienischer Seite mit Gleichstrom, auf österreichischer Seite mit Wechselstrom elektrifiziert. Die eingesetzte Mehrsystemlok wechselt die Stromversorgung im Bahnhof Brenner/ Brenero. Es ging im Trentino und in Tirol durch eine Vielzahl von Tunneln. Der Schlern-Tunnel (italienisch Galleria Sciliar) zwischen Waidbruck und Blumau im Eisacktal  ist mit gut 13 km der längste davon. Er ist seit 1994 in Betrieb. Dieser und weitere Tunnel haben die Zugstrecke sicherer und die Strecke für Huckepackzüge und Rollende Landstraßen befahrbar gemacht. Seit 2007 wird außerdem am Brennerbasistunnel gebaut, der wird als österreichisch- italienisches Projekt von Innsbruck bis nach Franzensfeste 55 km lang sein. Geplant ist die Inbetriebnahme für das Jahr 2028. Parallel sind weitere Zulaufstrecken auf der Südrampe der Brennerbahn geplant, darunter etwa Tunnel auf der Strecke Franzensfeste – Waidbruck. Es wundert sicherlich niemanden wirklich, dass Deutschland auch bei der Verbesserung der Schienenverbindungen durch Bayern zum Brenner hinterherhinkt, analog zur Situation bei der Anbindung in Richtung  Gotthard-Tunnel in der Schweiz. Zur Erinnerung: Der Staatsvertrag zum Ausbau der Rheintalbahn zum Gotthard stammt von 1996, Erfüllung eventuell bis 2035. Aktuell ist die Verspätung am Brenner geringer, aber das kann ja noch werden. Der Staatsvertrag über den sog. Nordzulauf stammt von 2012, das Raumordnungsverfahren wurde im August 2020 abgeschlossen, die Vorzugsvariante soll bis Anfang 2021 gefunden sein. Dann kommen die konkreten Baugenehmigungen, Klagen, Ausschreibungen, ggf. Klagen der nicht berücksichtigten Baufirmen und irgendwann der Bau, zwischendurch ein paar Debatten über steigende Kosten. Ich finde im www keinen geplanten Fertigstellungstermin ... ach, wäre Elon Musk doch nur im Eisenbahngeschäft. 

Von München nahm ich den ICE nach Berlin über die Bahntrasse Nürnberg- Erfurt- Leipzig. Die Neubaustrecke Erfurt– Leipzig wurde für 300 km/h ausgebaut und im Dezember 2017 eingeweiht. Damit verkürzte sich die Fahrzeit München-Leipzig-Berlin für die gut 620 Schienenkilometer von sechs auf 4 1/2 Stunden. Die Investitionskosten lagen  bei rund 10 Milliarden Euro. Das Projekt umfasste den Bau von 37 Brücken und 27 Tunnel. Die Saale-Elster-Brücke ist mit 8.600 Metern nicht nur die längste Brücke des Projekts, sondern auch die längste Talbrücke Deutschlands. Der längste Tunnel des Projekts ist der Bleßbergtunnel (8.314 Meter). Er ist der viertlängste „aktive“ Bahntunnel in Deutschland und quert den Hauptkamm des Hohen Thüringer Schiefergebirges, wo auch der berühmte Rennsteig liegt. 

Im Vergleich waren die Covid-19 Schutzmaßnahmen in den italienischen Bahnhöfen und Zügen am ernsthaftesten und professionellsten mit Fiebermessen per elektronischem Thermometer bzw. mit Wärmebildkameras an den Zugängen, Einbahnverkehr in den Bahnhöfen und in den Zügen sowie Masken- und Desinfektionsmittelausgabe im Zug. Die ÖBB verteilte noch Desinfektionstücher im Zug. In München kontrollierte Polizei im Bahnhofsgebäude die Maskenpflicht. Übrigens: Die deutsche Corona-Warn-App hat bislang keine „Schnittstelle“ zu denen in Italien oder der Schweiz. 

Noch ein Rückblick nach Italien: Die Verkleinerung der Parlamente wird kommen.  70 Prozent der Italiener haben der Reduktion der Zahl der Abgeordneten von 630 auf 400 und der Senatoren von 315 auf 200 zugestimmt. Bei den Regionalwahlen ging es 3:3 aus, drei Regionen bleiben „rot“ (Toskana, Kampanien, Apulien), die drei anderen bekommen wieder rechtspopulistische und europafeindliche Präsidenten (Veneto, Ligurien, Marken). Damit wurde das Ziel des rechten, ehemaligen Ministerpräsidenten Salvini „6:0, dann Neuwahlen“ nicht erreicht. 

Wieder zu Hause standen erst mal so allgemeine Tätigkeiten wie Wäschewaschen und Post an. Ich genoss aber auch die schöne, sonnige Zeit. Am Mittwoch war ich morgens im See schwimmen, wahrscheinlich das letzte Mal in diesem Jahr. Danach schaute ich mir die Ausstellungen zu 30-Jahren-Deutsche Einheit in Potsdam an, die dieses Jahr über einen ganzen Monat läuft und aus unbelebten „Ausstellungscontainern“ der Bundesländer und Institutionen besteht. Manches fand ich ganz interessant, manches war aber auch eher lieblos in die Gegend gestellt. Ich fuhr zum dritten Mal in diesem Jahr mit einem Riesenrad. 
In den anderen Jahren gab es in einem der 16 Bundesländer ein Volksfest am 3. Oktober, das ging dieses Jahr nicht. Auch der „Festakt“ am 3.Oktober wird sehr klein, wo sonst über tausend Leute aus Politik und Gesellschaft zusammenkommen, werden es dieses Jahr 200. Ich beneide die Kolleg*innen nicht die Einladungsliste nicht so stark einkürzen und hunderten „Gewohnheits-VIP “ absagen zu müssen. 

Heute genoss ich noch etwas den letzten Sonnentag und packte den Rucksack wieder für eine Reise zur Loreley. Ich werde nun endlich einen praktischen Einsatz in der Landwirtschaft haben, wie ich es ursprünglicher  im Sabbatical mehrmals machen wollte. Es geht morgen früh per Zug über Frankfurt (Main) nach St. Goarshausen und dann auf einen Hof in der Gemeinde Bornich im Rhein-Lahn-Kreis in Rheinland-Pfalz. 


Sonntag, 20. September 2020

🇮🇹 Buona sera

Am Donnerstag ging es von Bern nach Brig und von dort mit einem SBB-TGV an Lago Maggiore und Gardasee vorbei nach Venedig. In der Schweiz fuhr ich also nochmals durch den Lötschberg-Basistunnel und dann durch den Simplontunnel nach Italien. Der Simplontunnel ist etwa 20 km lang und verbindet das Rhonetal mit dem Val Divedro. Die erste Tunnelröhre wurde zwischen 1898 und 1905 gebaut, die zweite zwischen 1912 und 1921. Die Seen strahlten blau und mancherorts von Palmen umstanden vor wunderschöner Bergkulisse. Ach ja, schöne Villen am See gab es auch. Ich hätte für den italienischen Abschnitt der Reise eine Reservierung haben müssen. Der italienische Schaffner kassierte 10€ plus 13€ Strafe, mein Lehrgeld, demnächst vorher mal im "Kleingedruckten" zu lesen. 

Der Zug war gegen 14:45 Uhr in La Serenissima („Die Durchlauchtigste“). Ich kaufte am Automaten gleich eine 72 Stunden-Karte fürs Vaperetto (40€) und war recht flink in der Pension Fortuny. Der Hausherr, Andrea, begrüßte mich herzlich und gab mir Tipps für meine Zeit in Venedig. Im spazierte später noch etwas durch die Gegend und aß um die Ecke zu Abend. Auch wenn die Vaporettos voller Leute sind, so ist die Stadt doch recht leer: Keine Kreuzfahrtschiffe am Kai, keine Asiaten, Araber oder Amerikaner auf Europatour, nur Italiener, Deutsche, Niederländer, Österreicher, Schweizer und ein paar Franzosen. Andrea erzählte mir, die Deutschen seien die ersten Gäste nach dem Lockdown gewesen und hätten ihm das Geschäft gerettet. Alle drei Zimmer im Haus werden gerade von Deutschen bewohnt. 

Ein bisschen Geographie, Geschichte und Statistik: Die Lagune entstand ab etwa 4000 v. Chr. durch Ablagerungen des Flusses Brenta sowie anderer Gewässer  Oberitaliens. Die Flusssedimente überdecken eine Grundschicht aus Lehm und Sand, die zwischen 5 und 20 m dick ist. Die Lagune hat einen nördlichen Teil, der vorwiegend Süßwasser enthält und von den Gezeiten kaum beeinflusst ist, dort liegt z.B. die Insel Torcello. Der südlichere Teil ist eine Salzwasserlagune mit Ebbe und Flut. Flora und Fauna der venezianischen Gewässer sind von großem Artenreichtum geprägt: Viele Fische leben hier, über 60 Vogelarten brüten in der Lagune, zudem überwintern Haubentaucher und Schwarzhalstaucher, Silberreiher und verschiedene Entenvögel. Neben Fischen und Vögeln leben auch Säugetiere, zahlreiche Insekten- und Spinnenarten in der Lagune. Bei den Pflanzen finden sich viele, die Salzwasser mögen, wie Queller. Zudem findet sich Schilfrohr und Rohrkolben. Erste Besiedlungen sind durch die Etrusker nachgewiesen, etwa ab 800 v.Chr. Venedig war ab dem 9. Jahrhundert n. Chr. bis 1797 Hauptstadt der Republik Venedig und Ende des 18. Jahrhunderts mit über 180.000 Einwohnern eine der größten europäischen Städte. Bis ins 16. Jahrhundert war sie eine der bedeutendsten Handelsstädte, über die der überwiegende Teil des Handels zwischen Westeuropa und dem östlichen Mittelmeer abgewickelt wurde. Venedig unterhielt die meisten Handels- und Kriegsschiffe. Der Adel profitierte vom Handel, die Stadt entwickelte sich zum größten Finanzzentrum und dominierte ein Kolonialreich, das von Oberitalien bis Kreta und zeitweise bis nach Zypern reichte. Nach französischer und österreichischer Herrschaft wurde Venedig 1866 ein Teil Italiens. Am 31. Dezember 2019 hatte Venedig 259.150 Einwohner, davon 179.794 in den Stadtteilen auf dem Festland, 52.996 im historischen Zentrum und 27.730 innerhalb der Lagune. 

Am Freitagmorgen ging ich über den fast leeren Markusplatz und besichtigte den ebenso ruhigen Dogenpalast und nach der Durchquerung der Seufzerbrücke auch das dazugehörige Gefängnis. Der Palazzo Ducale war seit dem 9. Jahrhundert Sitz des Dogen und der Regierungs- und Justizorgane der Republik Venedig. Der Palast war Regierungs- und Verwaltungszentrum. Ab 1340 begann unter der Regierung der Dogen Bartolomeo Gradenigo die vollständige Umgestaltung des Palastes zur heutigen Form. Nach Bränden im 15. und 16. Jahrhundert baute man die Gebäude nach den Plänen des 14. Jahrhunderts wieder auf, man sparte zu keiner Zeit weder innen noch außen an Prunk. Der obere Teil der Innenwände und vor allem die Decken sind mit goldverzierten Ornamenten und Bildern der führenden Künstler Venedigs versehen. Vom Palast gelangt man auch auf die Ponte dei Sospiri, die Seufzerbrücke, über den Rio di Palazzo und weiter zum Gefängnis. Die  elf Meter lange, weiße Kalksteinbrücke wurde geplant von Antonio Contin, einem Enkel von Antonio da Ponte, dem Erbauer der Rialtobrücke. Gebaut wurde 1600 bis 1603. Über die Brücke führen zwei durch eine Mauer getrennte Wege, die den Blick von abgeführten Gefangenen auf die dem Gericht vorzuführenden verhindert. Die Brücke erhielt erst im Zeitalter der Romantik ihren Namen, in der Vorstellung, dass die Gefangenen auf ihrem Weg ins Gefängnis von hier aus zum letzten Mal mit einem Seufzen einen Blick in die Freiheit der Lagune werfen konnten. 

Am Nachmittag war ich in der Peggy Guggenheim Sammlung, einer außergewöhnlichen Kunstsammlung des 20. Jahrhunderts mit Bildern u.a. von Pablo Picasso, Max Ernst, Wassily Kandinsky, Paul Klee, René  Magritte und Piet Mondrian. Peggy Guggenheim erwarb 1949 den Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande, einen unvollendeten Palast aus dem 18. Jahrhundert, ließ ihn fertigstellen und nutzte ihn zum Wohnen und für Ausstellungen. Sie lebte bis an ihr Lebensende 1979 in Venedig und ist neben ihren Hunden im Garten des Palastes beerdigt. 

Anschließend spazierte ich im nördlichen Arsenal herum und dank eines freundlichen Pförtners konnte ich auch noch zwischen Kunst und im Umbau befindlichen Hallen fotographieren. 

Den Samstag begann ich mit Leonardo Da Vinci, seinen berühmten Bildern, seinen medizinischen Zeichnungen und seinen technischen Geräten. Im  Museum sind einige Nachbauten (z.B. Fluggeräte, Hygrometer  oder eine wiederverwendbare Steckbrücke) ausgestellt und man kann auch selber etwas bauen. Danach fuhr ich mit dem gestopft vollen Vaporetto nach Burano und weiter nach Torcello. Die Insel Torcello ist wahrscheinlich seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. besiedelt, sie hatte im 10. Jahrhundert vermutlich 10.000 bis 20.000 Einwohner und war zu dieser Zeit größer und reicher als Venedig. Man wirbt noch heute damit, dass auf Torcello die Wiege Venedigs stand. Es gab zwei Benediktiner- und zwei Zisterzienserklöster und mehrere Palazzi, von denen nur noch zwei erhalten sind. Die früheren Bewohner haben fast alles brauchbare Baumaterial beim Umzug nach Murano oder Venedig mitgenommen. 

Heute lebt noch etwa ein Dutzend Menschen auf der Insel. Am Wochenende ist Torcello ein beliebtes Ausflugsziel. Die Vaporettos waren am Samstag voll,  private Boote sausten über die Lagune oder parkten an den Gartenrestaurants am Kanal. Es gibt noch einen Spielplatz und heute gab es eine Hochzeit und eine Taufe in der Kathedrale Santa Maria Assunta. Von Torcello fuhr ich nach Burano, der Insel der bunten Häuser und später auf die Glasinsel Murano. Abendessen gab es auf der Insel Guidecca mit Blick auf Campanile, Markusdom und Dogenpalast.

Heute fuhr ich nochmals nach Murano und danach zur Friedhofsinsel. Auch heute strömten die Venezianer und viele Touristen raus auf die Inseln. Ich fuhr mit der Linie 4 östlich um San Marco herum, dann saß ich schon, als die Massen sich an der Station Fondamente Nove, kurz F‘te Nove, reindrängelten. Die Station ist der Hauptumsteigepunkt im Norden von und zum Flughafen und zu den Inseln. Auf Murano bummelte ich nochmals durch einige Glasshops. Auf der Friedhofsinsel quälten mich und andere viele Mücken, ich fand aber auch das Grab von Igor Stravinsky und seiner Frau. Zurück am Markusplatz wollte mir eine Möwe mein Ciabatta abjagen, sie kam im Sturzflug von hinten. Ich habe mein Mittagessen retten können und dann im Schutz der Kolonnaden aufgegessen. 

Heute und morgen stimmen die Italiener in einem Referendum über die Verkleinerung des Parlaments ab, außerdem sind Regionalwahlen u.a in Venezien und Venedig wählt einen neuen Bürgermeister. Weitere Regionalwahlen sind in Kampanien, Ligurien, Marken, Apulien, Aostatal und in der Toskana. Ich sah gestern Tafeln mit den Kandidatinnen und Kandidaten auf Murano. Es ist die erste Wahl seit Beginn der Corona-Infektionen, erste Ergebnisse soll es morgen Nachmittag geben. Die Regionalwahl wird als Stimmungsbarometer für die nationale Mitte-Links-Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte gesehen. 

Ich fuhr in den letzten Tagen viel Vaporetto, auch wenn es voll war fand ich immer irgendeinen Platz am Rand mit Fenster oder an Deck, wo natürlich alle hin wollten. Es ist ein Erlebnis so durch die Stadt zu reisen, die An- und Ablegemanöver sind schnell und wackelig. Das wäre bei unserer Prüfung für den Bootsführerschein nicht durchgegangen. Man muss meist raten, welche Linie da kommt, aber ich hatte ja Zeit für ungeplante Umwege. Die Einzelfahrt kostet stolze 7,50€, die Tageskarte 20€, dann wird’s billiger mit plus 10€ für jeden weiteren Tag. Neben dem Kapitän gibt es noch eine Person an Bord, die für die Anlegemanöver, Ein- und Ausstieg und wenn jemand unbedingt ein Ticket an Bord kaufen will zuständig ist. Manchmal wird es dann hektisch auf dem vollen Boot, da manche Stopps nur zwei Fahrminuten voneinander entfernt sind. Es wird hier natürlich alles per Boot transportiert, die Post, die Waren, die Kranken und auch die Toten. Im Hafen lag gestern auch noch die 97- Meter-Luxusyacht „Carinthia VII“, gebaut in der Lürssen-Werft in Bremen. Sie gehört der österreichischen Kaufhauserbin Heidi Horten und fährt unter der Flagge Maltas. Nach einem Schiffstracker liegt sie seit 23. Juni in Venedig vor Anker.

Übrigens wird der Müll  in Venedig allmorgendlich von zwei netten Müllmännern direkt abgeholt. Es wird geklingelt, ein kurzes Schwätzchen gehalten und dann der Beutel entgegengenommen. Andrea erzählte mir, dass dies so sei, um den Möwen das Futter zu verwehren und zerfetzte Müllsäcke zu vermeiden. 

Morgen früh fahre ich gegen 7 Uhr nach Hause. Es geht erst nach Verona, dann nach München und dann weiter nach Berlin. Wenn alles gut klappt, bin ich dann gegen 20:00 Uhr zu Hause in Potsdam.