Sonntag, 20. September 2020

🇮🇹 Buona sera

Am Donnerstag ging es von Bern nach Brig und von dort mit einem SBB-TGV an Lago Maggiore und Gardasee vorbei nach Venedig. In der Schweiz fuhr ich also nochmals durch den Lötschberg-Basistunnel und dann durch den Simplontunnel nach Italien. Der Simplontunnel ist etwa 20 km lang und verbindet das Rhonetal mit dem Val Divedro. Die erste Tunnelröhre wurde zwischen 1898 und 1905 gebaut, die zweite zwischen 1912 und 1921. Die Seen strahlten blau und mancherorts von Palmen umstanden vor wunderschöner Bergkulisse. Ach ja, schöne Villen am See gab es auch. Ich hätte für den italienischen Abschnitt der Reise eine Reservierung haben müssen. Der italienische Schaffner kassierte 10€ plus 13€ Strafe, mein Lehrgeld, demnächst vorher mal im "Kleingedruckten" zu lesen. 

Der Zug war gegen 14:45 Uhr in La Serenissima („Die Durchlauchtigste“). Ich kaufte am Automaten gleich eine 72 Stunden-Karte fürs Vaperetto (40€) und war recht flink in der Pension Fortuny. Der Hausherr, Andrea, begrüßte mich herzlich und gab mir Tipps für meine Zeit in Venedig. Im spazierte später noch etwas durch die Gegend und aß um die Ecke zu Abend. Auch wenn die Vaporettos voller Leute sind, so ist die Stadt doch recht leer: Keine Kreuzfahrtschiffe am Kai, keine Asiaten, Araber oder Amerikaner auf Europatour, nur Italiener, Deutsche, Niederländer, Österreicher, Schweizer und ein paar Franzosen. Andrea erzählte mir, die Deutschen seien die ersten Gäste nach dem Lockdown gewesen und hätten ihm das Geschäft gerettet. Alle drei Zimmer im Haus werden gerade von Deutschen bewohnt. 

Ein bisschen Geographie, Geschichte und Statistik: Die Lagune entstand ab etwa 4000 v. Chr. durch Ablagerungen des Flusses Brenta sowie anderer Gewässer  Oberitaliens. Die Flusssedimente überdecken eine Grundschicht aus Lehm und Sand, die zwischen 5 und 20 m dick ist. Die Lagune hat einen nördlichen Teil, der vorwiegend Süßwasser enthält und von den Gezeiten kaum beeinflusst ist, dort liegt z.B. die Insel Torcello. Der südlichere Teil ist eine Salzwasserlagune mit Ebbe und Flut. Flora und Fauna der venezianischen Gewässer sind von großem Artenreichtum geprägt: Viele Fische leben hier, über 60 Vogelarten brüten in der Lagune, zudem überwintern Haubentaucher und Schwarzhalstaucher, Silberreiher und verschiedene Entenvögel. Neben Fischen und Vögeln leben auch Säugetiere, zahlreiche Insekten- und Spinnenarten in der Lagune. Bei den Pflanzen finden sich viele, die Salzwasser mögen, wie Queller. Zudem findet sich Schilfrohr und Rohrkolben. Erste Besiedlungen sind durch die Etrusker nachgewiesen, etwa ab 800 v.Chr. Venedig war ab dem 9. Jahrhundert n. Chr. bis 1797 Hauptstadt der Republik Venedig und Ende des 18. Jahrhunderts mit über 180.000 Einwohnern eine der größten europäischen Städte. Bis ins 16. Jahrhundert war sie eine der bedeutendsten Handelsstädte, über die der überwiegende Teil des Handels zwischen Westeuropa und dem östlichen Mittelmeer abgewickelt wurde. Venedig unterhielt die meisten Handels- und Kriegsschiffe. Der Adel profitierte vom Handel, die Stadt entwickelte sich zum größten Finanzzentrum und dominierte ein Kolonialreich, das von Oberitalien bis Kreta und zeitweise bis nach Zypern reichte. Nach französischer und österreichischer Herrschaft wurde Venedig 1866 ein Teil Italiens. Am 31. Dezember 2019 hatte Venedig 259.150 Einwohner, davon 179.794 in den Stadtteilen auf dem Festland, 52.996 im historischen Zentrum und 27.730 innerhalb der Lagune. 

Am Freitagmorgen ging ich über den fast leeren Markusplatz und besichtigte den ebenso ruhigen Dogenpalast und nach der Durchquerung der Seufzerbrücke auch das dazugehörige Gefängnis. Der Palazzo Ducale war seit dem 9. Jahrhundert Sitz des Dogen und der Regierungs- und Justizorgane der Republik Venedig. Der Palast war Regierungs- und Verwaltungszentrum. Ab 1340 begann unter der Regierung der Dogen Bartolomeo Gradenigo die vollständige Umgestaltung des Palastes zur heutigen Form. Nach Bränden im 15. und 16. Jahrhundert baute man die Gebäude nach den Plänen des 14. Jahrhunderts wieder auf, man sparte zu keiner Zeit weder innen noch außen an Prunk. Der obere Teil der Innenwände und vor allem die Decken sind mit goldverzierten Ornamenten und Bildern der führenden Künstler Venedigs versehen. Vom Palast gelangt man auch auf die Ponte dei Sospiri, die Seufzerbrücke, über den Rio di Palazzo und weiter zum Gefängnis. Die  elf Meter lange, weiße Kalksteinbrücke wurde geplant von Antonio Contin, einem Enkel von Antonio da Ponte, dem Erbauer der Rialtobrücke. Gebaut wurde 1600 bis 1603. Über die Brücke führen zwei durch eine Mauer getrennte Wege, die den Blick von abgeführten Gefangenen auf die dem Gericht vorzuführenden verhindert. Die Brücke erhielt erst im Zeitalter der Romantik ihren Namen, in der Vorstellung, dass die Gefangenen auf ihrem Weg ins Gefängnis von hier aus zum letzten Mal mit einem Seufzen einen Blick in die Freiheit der Lagune werfen konnten. 

Am Nachmittag war ich in der Peggy Guggenheim Sammlung, einer außergewöhnlichen Kunstsammlung des 20. Jahrhunderts mit Bildern u.a. von Pablo Picasso, Max Ernst, Wassily Kandinsky, Paul Klee, René  Magritte und Piet Mondrian. Peggy Guggenheim erwarb 1949 den Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande, einen unvollendeten Palast aus dem 18. Jahrhundert, ließ ihn fertigstellen und nutzte ihn zum Wohnen und für Ausstellungen. Sie lebte bis an ihr Lebensende 1979 in Venedig und ist neben ihren Hunden im Garten des Palastes beerdigt. 

Anschließend spazierte ich im nördlichen Arsenal herum und dank eines freundlichen Pförtners konnte ich auch noch zwischen Kunst und im Umbau befindlichen Hallen fotographieren. 

Den Samstag begann ich mit Leonardo Da Vinci, seinen berühmten Bildern, seinen medizinischen Zeichnungen und seinen technischen Geräten. Im  Museum sind einige Nachbauten (z.B. Fluggeräte, Hygrometer  oder eine wiederverwendbare Steckbrücke) ausgestellt und man kann auch selber etwas bauen. Danach fuhr ich mit dem gestopft vollen Vaporetto nach Burano und weiter nach Torcello. Die Insel Torcello ist wahrscheinlich seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. besiedelt, sie hatte im 10. Jahrhundert vermutlich 10.000 bis 20.000 Einwohner und war zu dieser Zeit größer und reicher als Venedig. Man wirbt noch heute damit, dass auf Torcello die Wiege Venedigs stand. Es gab zwei Benediktiner- und zwei Zisterzienserklöster und mehrere Palazzi, von denen nur noch zwei erhalten sind. Die früheren Bewohner haben fast alles brauchbare Baumaterial beim Umzug nach Murano oder Venedig mitgenommen. 

Heute lebt noch etwa ein Dutzend Menschen auf der Insel. Am Wochenende ist Torcello ein beliebtes Ausflugsziel. Die Vaporettos waren am Samstag voll,  private Boote sausten über die Lagune oder parkten an den Gartenrestaurants am Kanal. Es gibt noch einen Spielplatz und heute gab es eine Hochzeit und eine Taufe in der Kathedrale Santa Maria Assunta. Von Torcello fuhr ich nach Burano, der Insel der bunten Häuser und später auf die Glasinsel Murano. Abendessen gab es auf der Insel Guidecca mit Blick auf Campanile, Markusdom und Dogenpalast.

Heute fuhr ich nochmals nach Murano und danach zur Friedhofsinsel. Auch heute strömten die Venezianer und viele Touristen raus auf die Inseln. Ich fuhr mit der Linie 4 östlich um San Marco herum, dann saß ich schon, als die Massen sich an der Station Fondamente Nove, kurz F‘te Nove, reindrängelten. Die Station ist der Hauptumsteigepunkt im Norden von und zum Flughafen und zu den Inseln. Auf Murano bummelte ich nochmals durch einige Glasshops. Auf der Friedhofsinsel quälten mich und andere viele Mücken, ich fand aber auch das Grab von Igor Stravinsky und seiner Frau. Zurück am Markusplatz wollte mir eine Möwe mein Ciabatta abjagen, sie kam im Sturzflug von hinten. Ich habe mein Mittagessen retten können und dann im Schutz der Kolonnaden aufgegessen. 

Heute und morgen stimmen die Italiener in einem Referendum über die Verkleinerung des Parlaments ab, außerdem sind Regionalwahlen u.a in Venezien und Venedig wählt einen neuen Bürgermeister. Weitere Regionalwahlen sind in Kampanien, Ligurien, Marken, Apulien, Aostatal und in der Toskana. Ich sah gestern Tafeln mit den Kandidatinnen und Kandidaten auf Murano. Es ist die erste Wahl seit Beginn der Corona-Infektionen, erste Ergebnisse soll es morgen Nachmittag geben. Die Regionalwahl wird als Stimmungsbarometer für die nationale Mitte-Links-Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte gesehen. 

Ich fuhr in den letzten Tagen viel Vaporetto, auch wenn es voll war fand ich immer irgendeinen Platz am Rand mit Fenster oder an Deck, wo natürlich alle hin wollten. Es ist ein Erlebnis so durch die Stadt zu reisen, die An- und Ablegemanöver sind schnell und wackelig. Das wäre bei unserer Prüfung für den Bootsführerschein nicht durchgegangen. Man muss meist raten, welche Linie da kommt, aber ich hatte ja Zeit für ungeplante Umwege. Die Einzelfahrt kostet stolze 7,50€, die Tageskarte 20€, dann wird’s billiger mit plus 10€ für jeden weiteren Tag. Neben dem Kapitän gibt es noch eine Person an Bord, die für die Anlegemanöver, Ein- und Ausstieg und wenn jemand unbedingt ein Ticket an Bord kaufen will zuständig ist. Manchmal wird es dann hektisch auf dem vollen Boot, da manche Stopps nur zwei Fahrminuten voneinander entfernt sind. Es wird hier natürlich alles per Boot transportiert, die Post, die Waren, die Kranken und auch die Toten. Im Hafen lag gestern auch noch die 97- Meter-Luxusyacht „Carinthia VII“, gebaut in der Lürssen-Werft in Bremen. Sie gehört der österreichischen Kaufhauserbin Heidi Horten und fährt unter der Flagge Maltas. Nach einem Schiffstracker liegt sie seit 23. Juni in Venedig vor Anker.

Übrigens wird der Müll  in Venedig allmorgendlich von zwei netten Müllmännern direkt abgeholt. Es wird geklingelt, ein kurzes Schwätzchen gehalten und dann der Beutel entgegengenommen. Andrea erzählte mir, dass dies so sei, um den Möwen das Futter zu verwehren und zerfetzte Müllsäcke zu vermeiden. 

Morgen früh fahre ich gegen 7 Uhr nach Hause. Es geht erst nach Verona, dann nach München und dann weiter nach Berlin. Wenn alles gut klappt, bin ich dann gegen 20:00 Uhr zu Hause in Potsdam.






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