Samstag, 31. Oktober 2020

🌈Resümee

Heute sind die acht Monate „Freistellung" formal vorbei. Es war vieles anders, als noch zu Beginn gedacht, aber es war eine schöne Zeit, weil ich in großer emotionaler und ökonomischer Sicherheit etwas andere Wege gehen, etwas Anderes erleben konnte. Ich wollte Zeit haben, die anders ist und die habe ich nun wirklich bekommen. Es wäre natürlich nicht nötig gewesen, dass alle mitmachen. 😉
Es war für mich nicht enttäuschend, dass es anders wurde. Ich hatte ja sowieso wenig geplant. Ich bedauere eigentlich nur, dass ich nicht durch Polen gereist bin und dass ich nicht nach England fahren konnte. Jetzt werden die Tage kürzer, das Wetter trüber, die Kraniche und Gänse sind weitgehend schon nach Süden gezogen, die Indoor-Zeit beginnt, das Fitnessstudio und das Schwimmbad müssen für einen Monat schließen. Da kann ich auch wieder arbeiten gehen. Außerdem habe ich auch das Gefühl, ich werde vergesslicher. Da müssen wieder mehr geistige Herausforderungen kommen! 

Meine freie Zeit begann im März in Spanien zu Beginn der „Corona-Zeit", als ich noch - mit vielen anderen - dachte, dass die Aufregung übertrieben sei und alles nach ein paar Wochen vorbei sei. Damals hörte ich erstmalig von rund 25.000 Grippetoten in der Saison 2017/18 (RKI-Angaben) und dachte, da könne COVID-19 auch nicht schlimmer werden. Inzwischen habe ich gelernt, dass es 1.674 nachgewiesene Grippetote gab, der Rest ergibt sich aus Hochrechnungen und der „Übersterblichkeit“. Es wird nämlich nur selten konkret auf Influenza getestet. Die Übersterblichkeit beschreibt, um wie viel die Zahl der Sterbefälle in einem Jahr mit einer Epedemie/ Pandemie höher liegt als in einem „normalen“ Vergleichsjahr.
In Spanien lernte ich dann schnell, dass es wohl doch schwieriger wird, als mit einer „normalen“ Grippewelle: Unklarheit bei den Übertragungswegen, mehr Krankenhausaufenthalte wegen der Schwere und Beatmungspflicht, mehr Tote und das alles ohne Schutzimpfung und anfangs ohne Sicherheit, welche Behandlungen und Medikamente den schwer Erkrankten helfen könnten. Weltweit haben wir inzwischen 46 Millionen nachgewiesene COVID-19 Fälle, täglich kommen 200.000 bis 300.000 hinzu und es gibt fast 1,2 Million Tote mit einem Nachweis von COVID-19. In Deutschland allein haben wir bislang über 518.000 Fälle und über 10.450 Tote, die positiv auf COVID-19 getestet sind, täglich kommen gerade über 15.000 Neuinfektionen hinzu. Unsere Nachbarländer Frankreich (+49.000 neue Fälle gestern), Niederlande (+17.000), Belgien (+20.000), Schweiz (+9.300), Tschechien (+13.600) und Polen (+21.600) haben absolut wie relativ deutlich höhere Infektionszahlen als Deutschland und manche stehen vor der Überlastung ihrer Gesundheitssysteme. Wir wissen inzwischen, das nicht nur das Virus das Problem ist, sondern bei schweren Verläufen auch der Umgang des Körpers damit, die sogenannte Immunantwort: Entzündungen im ganzen Körper (z.B. Niere), Gerinnungsstörungen und sogar Trombosen.  

Die geplante Frachtschiffreise nach New York im Mai/ Juni und der geplante Besuch im Mai in England wurden für mich unmöglich. Bis heute gibt es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes und einen Einreisestopp für EU-Bürger*innen in die USA. Bis Juli gab es auch eine Quarantäne-Pflicht in UK und die Reise per Flugzeug oder Zug/Schiff war mir zu risikoreich. 
Andere Sehnsuchtsorte habe ich hingegen besuchen können: Brüssel und Paris im August und Venedig im September. Ebenso war es sehr schön in meinen verschiedenen Wohn- und Heimatorten Zeit zu verbringen. In Hagen, Berlin, Bern, Brüssel oder Potsdam alte und neue Wege zu gehen, Freunde und Familie zu treffen. Gerade in Berlin und Potsdam genoss ich es sehr wieder ins Museum zu gehen oder einfach durch die Gegend zu spazieren und zu schauen, was sich verändert (hat). 

Ich versuchte das jeweilige Wissen zu COVID-19 in meine Planungen einzubeziehen und scheine das auch gut geschafft zu haben: Ich habe mich niemals krank gefühlt und meine „Kontaktpersonen“ auch nicht. Meine CORONA-App zeigte bisher sieben „grüne“ Begegnungen. Der COVID-19-Test nach den Besuchen in Brüssel und Paris in der ersten Augusthälfte und damit knapp vor den Reisewarnungen für Brüssel (21.08.) bzw. Paris (24.08.), war negativ. Ich bin - so oft es ging - im Zug 1. Klasse gefahren, war zwischen den Reisen meist 10-14 Tage zu Hause und trage sowieso meist eine Maske, wenn es mir zu eng wird. Das taten auch viele Menschen in Brüssel, Paris oder Venedig, egal, ob vorgeschrieben oder nicht. Nur in Bern war die Akzeptanz im September sichtbar geringer und das Distanzgefühl weniger sensibel. 

Die Gruppe „Urlaub gegen Hand für Frauen" bei Facebook war eine tolle Option für mich während der strengsten Phasen der CORONA-Einschränkungen in Deutschland. Ich konnte die Gastgeberinnen durch meine Hilfe unterstützen und trotz geschlossener Hotels etwas Deutschland entdecken: Eifel und Oberpfalz. Die Möglichkeiten der Organisation WWOOF, freiwillige Arbeit in der Landwirtschaft zu leisten, habe ich, entgegen meiner ursprünglichen Pläne, nur ein Mal genutzt. Ich lernte so ein bisschen das Rheingau kennen und viele sehr nette Esel. 

Neulich wurde ich gefragt, was denn nun die schönste Zeit war. Die Antwort ist einfach: Jeder Tag war besonders. Die Freiheit zu entscheiden, wie ich die Zeit gestalte war wunderbar. Ich beobachtete zu Hause beim Frühstück und Lesen auf der Terrasse die gefiederten Nachbarn, die Spatzen, Kleiber, Kohl- und Blaumeisen, Rotkehlchen, Tauben und die neugierigen Nebelkrähen, freute mich übers WDR2 oder Musik hören. Ich hatte Zeit und Lust morgens Yoga zu machen, Sachen zu sortieren, herumzukramen, zu rennen, zu wandern oder es auch zu lassen. Ab Mitte Oktober ging’s auch wieder ins Fitnessstudio in Potsdam oder ins Schwimmbad. Morgens war es leer und ich konnte zwischen den Rentner*innen langsam wieder Kraft aufbauen. 

Die Zeit mit netten Menschen und an schönen Orten war ein großes Geschenk. Ich hatte oft das Gefühl, dass die möglichen Kontakte und Begegnungen intensiver waren, nicht nur ich hatte mehr Zeit und weniger Verpflichtungen. Ich konnte sehr viel draußen sein, was sehr meinen Interessen entspricht. Vielleicht war es auch ein Glück für mich, dass es wegen COVID-19 gar nicht möglich war länger voraus zu planen. 

Wenn ich zurückblicke auf den inneren Dialog vom Februar so hat die Optimistin - natürlich - recht gehabt: Ich habe die richtigen Entscheidungen getroffen und es war auch nicht langweilig. Ich habe über mich gelernt, dass ich die Zeit genießen konnte, dass ich auch gar keine Sorge hatte, wie es im Büro läuft. Ich bin sehr dankbar, dass meine Kolleg*innen mich in Büroangelegenheiten in Ruhe gelassen haben. Es lief vielleicht anders, aber es lief auch ohne mich. 

Es hat mich sehr gefreut dann und wann eine Rückmeldung zu den Berichten zu bekommen, zu hören, dass meine Reisen und Entdeckungen auch manche von euch mitgenommen haben, wenn es gerade wegen des Lock-downs, bestehender Reisebeschränkungen oder aus anderen Gründen nicht ging. Durch das Aufbereiten meiner Erlebnisse und Gedanken für diesen Blog habe ich zusätzliche Hintergründe kennengelernt und Zusammenhänge gesehen.

Die acht Monate haben mir sehr gut getan, auch körperlich: Es geht meinem Rücken und meinem Nacken ohne sitzende Tätigkeit und Anspannung am Schreibtisch deutlich besser. Der Tinnitus ist mir leider treu geblieben, aber ich kann damit leben. Die Hitzewellen nerven weiter, aber auch daran kann ich nichts ändern, das sind eben die Hormone in den „Wechseljahren“. Ich fühle mich gut, wenn ich am Montag wieder ins Büro zurückkehre. Ich bin für die „geschenkte Zeit" dankbar und werde mich schnell wieder im Büro „einleben". Die Erinnerungen an die freie, selbstbestimmte Zeit werden mir ab und zu den Moment versüßen. Ich bin mir sicher, dass mir ab und zu die schönen Begegnungen, die netten Esel und der weite Blick über Berge oder Meer fehlen werden. Ich denke nicht, dass ich nochmals einen Vertrag über eine weitere Freistellung abschließen möchte, da bis zur Rente in 2030 sowieso nur noch gut neun Jahre übrig sind. Bleiben wir flexibel und vor allem: Bleiben wir gesund! 











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