Montag, 7. September 2020

🇨🇭Panoramazüge

Am Samstagmorgen ging es in Zermatt mit dem „Glacierexpress" nach St.Moritz.  Dieser "langsamste Schnellzug der Welt" fährt als touristische Verbindung schon seit 1930: Im Jahr 1926 war die Strecke über Furka- und Oberalppass eröffnet worden, 1930 die Strecke Visp-Brig. Mit meinem Interrail-Ticket war die Reservierung mit Zuschlag (38 Euro) zu zahlen, das hatte das Reisebüro erledigt.

Die Glacierexpress-Route führte erst mal wieder mit Zahnrad-Unterstützung über Streckenabschnitte mit 12,5 % Neigung von Zermatt runter ins Tal über Visp nach Brig. Der Ort an der Rhone wurde um 1250 gegründet und ist bis heute eine wichtige Stadt für Handel und Verwaltung.  Weiter ging es durch den Furka-Basistunnel nach Andermatt. Der Tunnel ersetzt seit 1982 die spektakulärere, aber störanfällige Passfahrt. Ich plane die Fahrt über den Furkapass mit einem alten Dampfzug am kommenden Wochenende. Am Furkapass verläuft übrigens die Wasserscheide zwischen Adria (Po) und dem Westlichem Mittelmeer (Rhône). Den höchsten Punkt der Reise erreichten wir wieder mit Zahnrad-Unterstützung am Oberalbpass (2.033m) in der Nähe der verschiedenen Quellen des Vorderrheins. Danach ging es runter ins Vorderrheintal, vorbei an Disentis mit einem mächtigem Benediktinerkloster und der beeindruckenden Rheinschlucht nach Chur. 

Die Rheinschlucht (Ruinaulta) entstand nach dem Flimser Bergsturz, dem bislang größten bekannten Bergsturz der Welt. Vor rund 9.500 Jahren (also nach der letzten Eiszeit) brachen zwischen dem Flimserstein und dem Piz Grisch über 10 Milliarden Kubikmeter Fels ab und begruben das Vorderrheintal unter einer mehrere hundert Meter mächtigen Schuttmasse. Zum Vergleich: Der Bodensee hat etwa 48 Milliarden Kubikmeter Wasser, der Chiemsee 2 Milliarden Kubikmeter, die Bigge 170 Millionen, der Cottbuser Ostsee nach Fertigstellung 150 Millionen, der Parsteinersee 77 Millionen. Da der Vorderrhein nicht mehr abfliessen konnte, wurde auf einer Länge von circa 25 km ein See aufgestaut. Im Laufe der Zeit schnitt sich der Fluss in die Bergsturzmassen ein und der entstandene See konnte irgendwann abfliessen. Zurück blieb die Ruinaulta mit steilen Kalkstein-Schuttklippen und beeindruckenden Erosionsformationen. Die Geologiefreunde finden hier mehr. 

In Bonadus, kurz vor Chur, fliessen Vorder-und Hinterrhein zusammen. Chur ist die Hauptstadt des Kantons Graubünden und hat heute etwa 38.000 Einwohner. Nachweise für eine Besiedlung der Region reichen bis in die Jungsteinzeit (ca. 4.000 v. Chr.) zurück, die Lage am Rhein und die günstige Lage zu den Alpenpässen machte die Gegend attraktiv, irgendwie kamen alle irgendwann vorbei: Römer, Christen (Bistum Chur), Magyaren, Sarazenen und Deutsche, bevor 1803 der Kanton Graubünden der schweizerischen Eidgenossenschaft beitrat. In Chur und weiten Teilen des Kantons wird deutsch gesprochen, aber der Kanton hat, als einziger der Schweiz, drei Amtssprachen: Deutsch, Rätoromanisch und Italienisch. In Chur stiegen etwa die Hälfte der Reisenden aus dem Glacierexpress. 

Von Chur bis St-Moritz verkehren Glacier- und Berninaexpress auf derselben Schmalspur-Strecke von 1909  mit bis zu 7% Steigung (ohne Zahnradunterstützung), die seit 1919 elektrifiziert ist. Die Strecke schlängelt sich durchs Hinterrheintal und Albulatal (Nebenfluss des Hinterrheins) langsam wieder hoch, teilweise über beeindruckende Viadukte, die zum UNESCO - Welterbe „Rhätische Bahn" gehören. Die Reise bis St.Moritz dauert rund acht Stunden, es gibt sehr guten Restaurant-Service unterwegs. 

Von St. Moritz fuhr ich mit dem Regionalzug eine Station zurück nach Celerina. Ich wohne nun  eine Woche in Celerina im  Hotel Cresta Palace. Ein großer, klassisch schweizerischer Kasten von 1905 mit Lüstern, Messinglampen und Teppichen, alles gut in Schuss und mit moderner Sauna, Schwimmbad, kleinem Fitnessstudio und Sportangeboten sowie Freiticket für Busse und Bergbahnen. Das hat das Reisebüro wirklich schön gewählt und dabei einen guten Preis bekommen, den ich so nirgendwo gefunden habe. Die gemeinsamen  Sprachen des Hotel-, Service- und Küchenteams sind Englisch und Französisch, mit den Gästen (Schweizer-)Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch. Heute kamen zwei neue Mitarbeiter in den Wintergarten des Hotels, die ab der Wintersaison ein abendliches "Pop-up" Thairestaurant im Wintergarten mit 26 Plätzen führen sollen. Der Küchenchef sieht das als Experiment, wenn's läuft sollen mehr Plätze eingerichtet werden. 

Am Sonntag fuhr ich mit dem Bus nach Pontresina und stieg dort gegen 10 Uhr in den Berninaexpress, der aus Chur kam. Der Bernina Express verkehrt zur Corona-Zeit mit je einem Zug pro Richtung zwischen Chur und Tirano und Donnerstag bis Sonntag zusätzlich mit zwei Zügen pro Richtung zwischen St. Moritz und Tirano. Die "Sommerstrecke" Landquart – Davos – Tirano wird zur Zeit nicht bedient. Wir waren zu dritt im Panoramawagon der 1. Klasse. 

Der Zug schraubt sich von 1.774 Metern in Pontresina hoch zum Berninapass auf 2.253 Metern. Am Pass ist die Wasserscheide zwischen Schwarzem Meer und Adria, also Berninabach-Inn-Donau bzw. Acqua da Pila-Poschiavo-Adda-Po. In Alp Grüm gab es, trotz tiefhängender Wolken, eine gute Aussicht auf den Rest des Palügletschers und einen Fotostop. Runter ging es über Galerien und Tunnelkehren nach Poschiavo auf 1.014 Metern und weiter ins italienische Tirano (429 m). Beeindruckend ist neben den Talblicken noch der Kreisviadukt bei Brusio und die Fahrt direkt neben der Straße durch die Orte Tirano oder Parcheggio. 

Ich machte mich gleich wieder mit einem Regionalzug auf den Rückweg, weil ich noch ein oder zwei Wanderstopps plante. Da es oben regnete, stieg ich erst in Morteratsch auf 1.900 Metern wieder aus und ging ca. 35 Minuten leicht bergauf zum gleichnamigen Gletscher, um auch hier zu sehen wie weit er sich inzwischen zurückgezogen hat. Seit Beginn der systematischen Messungen 1878 hat der Morteratschgletscher über 2,6 km Länge verloren, dabei mit großen Schritten seit 1940. Die Gletscherzunge liegt inzwischen auf etwa 2.200 m, etwa 130 Meter höher als 1878. Das letzte große "Verlustjahr" war 2015 mit 164 Metern in der Länge. Die einzigen aktuelleren "Zuwachsjahre" waren 1985 (wie auch in Grindelwald) und 2004.

Noch ein bisschen Eisenbahntechnik: Glacierexpress und Berninaexpress fahren auf einer „Meterspur", sind also Schmalspurbahnen. Die "Normalspur", die es weitgehend im deutschen und europäischen Netz gibt, hat eine Breite von 1,435 Metern. In der Schweiz sind die großen Routen in Normalspur gebaut. Die Strecke St. Moritz- Tirano wird mit Gleichstrom betrieben, in den meisten europäischen Staaten wird die Eisenbahn mit Wechselstrom betrieben, Ausnahmen Italien, Spanien, Niederlande, Belgien, Polen und Teile von Frankreich. 

Für mich waren beide Touren sehr interessant. Die Tour mit dem Berninaexpress würde ich jedoch beim nächsten Mal nicht im Panoramazug, sondern in einem „Normalwagon" machen. Der Zug besteht regulär aus zwei Teilen: Panoramazug und "Normalzug". Im "Normalzug" kann man die Fenster fürs Fotographieren öffnen und ärgert sich nicht über viele Reflexe im Bild. Beim Glacierexpress gibt es diese Alternative auf der Strecke nicht. Eine weitere Option wäre die Weiterreise mit dem Berninaexpress-Bus von Tirano nach Lugano und eine Rundreise mit Anschluss an den Gotthard-Panorama-Express oder einem "Normalzug" in Richtung Luzern. Beide Panoramazüge auf meiner Reise waren nicht ausgebucht, der Glacierexpress etwa zu 75% belegt, der Berninaexpress maximal zu 50 %. Wer von euch solch eine Tour plant, sollte sie vielleicht machen, bevor die internationalen Touristengruppen wieder in die Schweiz reisen. Es ist eine gute Idee, sich statt Einzelfahrscheinen ein Interrail-Ticket zu kaufen, da stehen viele Alternativen zur Auswahl, Länderpässe oder ein Globalticket für x Reisetage innerhalb eines oder zwei Monaten oder x Reisetage hintereinander. Ein bisschen zum selber Austüfteln oder machen lassen, Beispiel: 5 Reisetage innerhalb eines Monats in allen Ländern für 282 € in der 2. Klasse, 376 € in der ersten Klasse, Ü60 wird's 10% billiger. 

Heute lege ich mal die Füße hoch, draußen nieselt es und die Wolken hängen tief. Ein schöner Tag für die Sauna. Ab morgen soll die Sonne wieder scheinen, dann geht's nach Davos und/ oder St. Moritz, mal sehen. 


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