Freitag, 11. September 2020

🇨🇭 Keine Millionäre, dafür schönes Wetter und Fernsicht

Den fünften Reisetag meines Interrail-Tickets - von insgesamt zehn - nutzte ich für eine Fahrt von Celerina über Filisur und dann mit dem Nostalgiezug nach Davos-Platz. Im regulären Zug gab es eine Kamera beim Lokführer, um die Albula-Strecke verfolgen zu können. Im Nostalgiezug ab Filisur gab es 1. Klasse in Plüsch - war leider schon belegt -, 2. Klasse in Holz und zwei offene Panoramawaggons. Ich entschied mich für die „Holzklasse", die war leer und die offenen Waggons fand ich nicht sehr attraktiv, wegen der Temperatur und der vielen Tunnel. Die elektrische Lokomotive ist von 1929. Die Fahrt dauert etwa eine Stunde. Es gelten alle "Normaltickets", kein Zuschlag, keine Reservierung nötig. Der „Nostagiezug" fährt 2x täglich pro Richtung, die Zeiten gibt es hier. Ich spazierte von Davos-Platz in Richtung Davos-Dorf. Es gibt überall viele Wanderer und Mountain-Biker, aber die „Schönen und Reichen" fehlen in Davos wie auch schon in St. Moritz. Das Steigenberger-Hotel in Davos und das Hotel Kulm in St. Moritz sind geschlossen, die einen schreiben was von "Saisonvorbereitung", die anderen von "Corona-Schutzbestimmungen". Auch andere Hotels wirken leer, bei Prada, Breitling etc. keine Kundschaft, der Maserati Shop ohne Autos. Man fährt hier wohl nur im Winter hin, um sich zu zeigen. Im Sommer ist man woanders, dieses Jahr vielleicht sogar zu Hause. 
Seit 09.09. ist übrigens die Metropolregion Genf-Lausanne mit den beiden Kantonen Genf und Waadt (Lausanne) als erstes Corona-Risikogebiete in der Schweiz vom RKI festgelegt worden. Belgien hatte das schon Anfang August gemacht ("Zone rouge"). Belgien traf seine Entscheidung am 04.08. und man regte sich in der Schweiz über die Belgier heftig auf, obwohl Genf auch nach den Schweizer Regeln (60/100.000) da schon als "Risikogebiet" hätte eingestuft werden müssen. Man setzte Belgien insgesamt (die Schweiz differenziert nicht nach Regionen) am 20.08. auf die Liste der Risikogebiete und ab 04.08. verschärfte man in Genf die Covid-19 Schutzmaßnahmen. Deutschland brauchte für die Erkenntnis nun rund einen Monat länger, als Belgien, vielleicht auch weil die frankophone Welt in Deutschland weiter weg ist, als Spanien. Belgien ist seit 07.09. wieder von der Schweizer Liste runter, Frankreich war nie drauf "honi soit qui mal y pense". Das RKI hat sechs Regionen in Frankreich (ohne Überseegebiete) auf der Risikoliste, Belgien fünf. Der Unterschied: Ile-de-France mit Paris. In Italien steht Frankreich gar nicht auf der Liste der Risikogebiete, dafür z.B. Spanien, Kroatien und Griechenland insgesamt, sie unterscheiden, wie die Schweiz, auch nicht nach Regionen. Griechenland taucht beim RKI wiederum gar nicht auf. 
Zurück nach Davos. Mir kam auf einmal Hans Castorp und der „Zauberberg" in den Sinn. Das Buch von Thomas Mann hatte ich im Frühjahr gelesen, als mein Plan fürs Sabbatical noch ein ganz anderer war. Ich wanderte also zu Schatzalp. Historisch belegt ist, dass die Ehefrau von Thomas Mann, Katia Mann, zu den ersten Patientinnen des 1911 eröffneten Waldsanatoriums "Waldhotel Davos" gehörte. Sie kurierte dort einen "Lungenspitzenkatarrh" aus, in damaliger Zeit als beginnende Tuberkulose bewertet. Als Thomas Mann seine Frau im Frühling 1912 besuchte, wurde er wohl zum Roman "Der Zauberberg" inspiriert. Aufgrund seiner Eindrücke und anhand von Briefen seiner Frau entstand der Roman, den er dann aber erst 1924 fertigstellte. Das "Waldhotel" wurde bis 1957 als Waldsanatorium geführt. Die Davoser Freiluft-Liegekur mussten Patienten bei jedem Wetter täglich auf den grossen Terrassen der Sanatorien einhalten. Der Roman wird von den Lesern  auf der Schatzalp angesiedelt. Ein schönes Jugendstil-Hotel mit Fernblick und einem wunderschönen botanischen Garten, das auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Auf der Terrasse, wo einst die Sanatoriums-Patienten ihre Tuberkulose auskurierten, machte ich Pause bei Sonne, Fernblick, Tee und Flammkuchen. 
Ich fuhr gegen 15:30 Uhr mit der Standseilbahn runter und nahm einen Zug von Davos-Platz nach Klosters, da wo außer dem Prinzen von Wales, Paul Newman, Gene Kelly, Greta Garbo auch ab und zu  Uckermärker Urlaub machten bzw. machen. Weiter ging es durch den 19 km langen Vereinatunnel (1999) nach Sagliains und nach kurzer Wartezeit über Samedan zurück nach Celerina. Der Vereina-Tunnel ist nicht nur für den Personen- und Güterverkehr wichtig, er schafft auch per Autoverladung eine schnelle und wintersichere Verbindung zwischen Nordbünden und dem Unterengadin. Früher ging es mit dem Auto von Davos nach Susch über den 2383 m hohen Flüelapass mit hoher Lawinengefahr. Apropos Gefahren in den Bergen: Am Mittwoch legte Steinschlag die Eisenbahnstrecke am Berninapass von morgens gegen sieben bis zum Mittag lahm.
Am Mittwoch nutzte ich die Buskarte des Hotels und fuhr nach Maloja. Ein älterer Herr bemerkte im Bus ganz verwundert, dass er von einer kleinen Frau im großen Bus chauffiert wurde. Seine Frau fand das scheinbar normal, er wunderte sich lange, wie die das schafft. Westlich von Maloja schließt sich der Malojapass an, der mindestens seit der Römerzeit als Verbindung zwischen Engadin mit dem Inntal und dem italienischen Bergell genutzt wird. Ich spazierte zum Torre Belvedere, einem Aussichtsturm, den der in Brüssel geborene belgische Graf Camille de Renesse 1882 als Teil seiner geplanten Privatresidenz erbauen ließ. Der Graf ließ außerdem 1882-1884 das Hotel "Kursaal de la Maloja" mit etwa 250 Zimmern, 20 Ess- und Ballsälen, das heutige Hotel "Maloja Palace", bauen. Es wurde am 01.07.1884 eröffnet. Da jedoch nur wenige Tage nach Eröffnung des Hotels in Italien eine Cholera-Epidemie ausbrach und die Grenzen geschlossen wurden, musste Graf de Renesse Ende 1884 Konkurs anmelden. Irgendwie gerade ganz aktuell im Tourismusgewerbe. Das Hotel blieb bis 2006 im Besitz der "Christlichen Krankenkasse" Belgien. Das geplante Schloss blieb unvollendet. Die bestehenden Gebäude wurden als Hotel und später als Bildungsinstitut genutzt, nach einem Brand wurden die Anbauten des Turms weitgehend abgetragen. 1953 erwarb die Naturschutzorganisation Pro Natura den Turm zusammen mit dem umliegenden Bergföhrenwald und den Gletschertöpfen und richtete ein Naturschutzgebiet ein. Die Gletschertöpfe fand ich sehr beeindruckend. Ich habe noch nie so deutliche und so viele gesehen. Gletschertöpfr bilden sich durch Wirbel im abfließenden Schmelzwasser von Gletschern. In diesen Wirbeln können Fließgeschwindigkeiten von bis zu 200 km/h und hoher Druck herrschen, so dass sich die Löcher bilden. Ich wandere dann von Maloja entlang des Silser Sees. Später stieg ich etwas hoch ins autofreie Fextal. Da war ich im Winter 1989/90, wenn ich mich richtig erinnere, mal Skifahren und wir sind damals mächtig eingeschneit. Die Herberge "Chesa Pool" von damals ist heute eine "vegetarische Pension", in der man von 8-Bett-Zimmern nichts mehr wissen will. Ich machte auf der Sonnenterrasse eine kleine Pause bei Buchweizen-Salat. Weiter ging es über Sils Maria, wo wir damals beim Hotel Schweizerhof das Auto unter zwei Metern Neuschnee erst finden und dann ausgraben mussten, zum Silvaplana-See. Auf dem See Kitesurfer, Segler und Surfer. Der Wind frischt im Tal ab Mittag mächtig auf. Am Nachmittag kam ich in Silvaplana an und mit Bus und Bahn zurück nach Celerina. Im Hotel ging's erst ins Schwimmbad, dann in die Sauna. Am Donnerstag war "Bergbahnentag" mit der Freikarte des Hotels, denn der Wetterbericht sagt eine langsame Verschlechterung voraus. Es ist ja noch sehr warm, selbst morgens ist es noch um 5 Grad, tagsüber um 18 Grad, aber die Regenwahrscheinlichkeit steigt und das ist nicht gut für die Fernsicht. 
Erst fuhr ich mit dem Bus nach Silvaplana und dann mit der Gondel hoch zum Piz Corvatsch auf über 3.300 m. Es gab eine super Fernsicht auf Gletscher, Berge und die Seenkette zwischen Maloja und St. Moritz. Ich genoss Ausblick und Sonne eine Weile und fuhr nach rund einer Stunde wieder mit der Gondel runter und dann mit dem Bus zu „Signalbahn" (1972) in St. Moritz-Bad. Von der Bergstation wanderte ich quer in Richtung Corviglia und weiter über den Stausee "Lej Alv" auf rund 2.500 m zur Bergstation "Marguns",  oberhalb von Celerina. Da es noch früh war, nahm ich auch noch die Standseilbahn von St. Moritz- Dorf zum Corvilia und weiter die Gondel zum Piz Nair auf gut 3.000 m. Beide Bergbahnen hatte ich bei meiner kleinen Wanderung gesehen. Das Skigebiet Corviglia- Marguns entwickelte sich seit 1913 mit dem Bau einer Drahtseilbahn und wurde erweitert für die Winterolympiade 1928, dem Startpunkt für bedeutenderen Wintertourismus in St. Moritz.  Aus der Gondel sah im einen Regenbogen über dem Tal, obwohl es dort nicht regnete. Vom Gipfel des Piz Nair konnte in gut rüber am Piz Corvatsch schauen, dessen Gipfel sich etwas in Wolken hüllte. Am Piz Nair kann man übrigens in einer Gondel nächtigen, es gibt aber eine Warteliste. Ich fuhr mit Gondel und Standseilbahn wieder runter und spazierte nach St. Moritz- Bad, um dort etwas zu essen. Abends gegen 21 Uhr regnete es dann wirklich. 
Die Geschichten von heute zu Bergen, Wolken und mit Murmeltieren gibt es später. Ich muss meinen Rucksack für die Weiterreise morgen nach Andermatt packen. Noch ein bisschen kulturelle Bildung zum Abschluss: 







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