Mittwoch, 30. September 2020

🇩🇪 Rheingau und Esel

Von Freitag bis heute früh war ich auf einem Eselshof in Rheinland-Pfalz in der Nähe der Loreley. Ich bin mit dem Zug über Frankfurt (Main) nach St. Goarshausen gefahren und wurde dort abgeholt. Der Ort Bornich wurde vermutlich schon vor rund 2.800 Jahren besiedelt (Bronzezeit). Mit der Eroberung der rechtsrheinischen Gebiete durch die Römer hinterließen auch sie ihre Spuren hier, z.B. durch Straßen oder auch Terrassen an den Hängen des Forstbachtal, in dem ich war.  Der Forstbach mündet bei der Burg Katz in den Rhein.  Ich arbeitete auf einem Hof, der Großesel züchtet. Den Hof, „Odins Mühle“, habe ich über WWOOF gefunden. Die Züchterin und der Züchter verfolgen seit 30 Jahren das Ziel hier gesunde Großesel (über 130 cm Stockmaß) artgerecht aufzuziehen. Es gibt „kuschelige“ Poitou-Esel, katalanische Großesel  und Weiße Barockesel, ein paar Maultiere und eine Kaltblutstute mit Fohlen (2 Monate).  Es gibt Hunde, Hühner und im Tal laufen auch noch zwei Pfaue herum. Die Esel werden pädagogisch-therapeutisch und in der Landschaftspflege eingesetzt, als Zug- und Lasttiere oder für den touristischen Einsatz ausgebildet. Der Betrieb beteiligt sich an Naturschutzmaßnahmen: Umwandlung von  Ackerflächen in Grünland, Blühstreifen, Insektenhotel, Fledermauskästen, Nistkästen etc. Gäste können auf dem Gelände gleich ein Ferienhaus buchen und täglich die sehr freundlichen und kommunikativen Tiere erleben.

Die tägliche Morgenroutine auf dem Hof beginnt bei den Hühnern: Stall öffnen, füttern, Wasser nachschütten, eine Extraportion für eine alte Glucke. Dann geht es weiter mit den jeweiligen Futtermischungen (Hafer oder Schrot) plus Fallobst zu den Eseln und Maultieren, drei einzeln stehenden Hengsten, der Kaltblutstute mit ihrem Fohlen Adele und dann zu den Galloways. Ein Galloway-Bulle steht mit Kühen und Kälbern zusammen. Dort ist Trinkwasser aus dem Wassertank nachzufüllen. Eine Gruppe Färsen, also junge Kühe, die noch nicht geboren haben, steht getrennt, bei ihnen einer der Hengste, auch dort eventuell Wasser nachfüllen. Mit dem Kaltblutfohlen wird ab und zu Halftertragen und am-Strick-geführt-werden trainiert. Nebenbei gehen die beiden Hunde „Gassi“ und finden so allerlei, z.B. Mäuse. Die zweite Eselsherde, eine Stutenherde u.a. mit Poitou-Zwillingen (knapp 5 Monate alt, sowas gibt es echt selten) wird danach noch umgekoppelt. Es ist faszinierend, wie wiederholte Rufe „Esel komm!“ aus dem vorbeifahrenden Auto und ein Eimer Äpfel zur Verstärkung ausreichen, die Herde über 250 m Distanz in Bewegung zu setzten. Die „Morgenroutine“ dauert alles in Allem etwa 1 1/2 Stunden. Am Abend wird ein Hengst und die Stutenherde wieder umgekoppelt und ein Teil der Hühner wieder eingesperrt, die anderen schlafen draußen auf einem Baum. 

Tagsüber standen dann alltägliche Hofarbeiten an: Am Samstag und Montag haben wir eine neue Weidefläche umzäunt. Die Stutenherde kam am Dienstag erstmalig drauf. Der „Umkoppeln“ war wirklich ein „Spaziergang“ im Vergleich zu solch einer Aktion mit Pferden. Kein Esel trägt Halfter, sie kommen mit ein bisschen Unterstützung durch Rufe und vielleicht ein paar Äpfeln einfach mit. 

Dann waren noch Himbeeren zu ernten, im Garten etwas Unkraut zu jäten, die Heuraufe bei den Rindern zu reinigen, auf der neuen Koppel Leinkrautsamen zu „ernten“, um deren Vermehrung auf der Fläche zu reduzieren und Holz für die Gäste bereitzustellen. Es sind eben viele Dinge im Blick zu behalten. Das gelang mir mal besser, mal schlechter. Es war eine gute Zeit für mich und ich konnte neue Dinge lernen über die Landwirtschaft, die Esel und auch über mich. 

Der Umgang mit den Eseln war sehr entspannt und viel unkomplizierter, als ich es mit Pferden gewohnt bin. Esel sind kommunikativ, sie interessieren sich, sind in neuen Situationen nicht auf Flucht eingestellt, wie Pferde oder auch die Maultiere auf dem Hof. Das macht den Umgang sehr angenehm. 

Ein bisschen touristisches Programm machte ich auch noch: Am Sonntag spazierte ich ein Stündchen zur Loreley (4 km), dem berühmten 132 m hohen Felsen an der Rheinkurve bei St. Goarshausen. Ich kannte die Gegend bisher nur aus dem Blickwinkel von „unten"- vom Rhein - hoch zu den Bergen und Burgen. Es ist interessant zu sehen, dass die Landschaft hier „oben" nur leicht wellig mit ein paar Kuppen ist, sich die Flüsse und Bäche jedoch sehr tief eingeschnitten haben, nicht nur der Rhein, sondern auch der kleine Forstbach von der Tür. An der Loreley hat man natürlich einen sehr schönen Blick ins Rheintal. Es gibt ein Besucherzentrum, eine Sommerrodelbahn und ein Gartenlokal. 

Heute habe ich den Eselshof verlassen und bin weiter nach Rüdesheim gefahren, das waren gut 25 Minuten mit dem Zug. Ich spazierte etwas durch den Ort, der bekannt wurde mit Asbach-Uralt, Rüdesheimer Kaffee und der „Drosselgasse “. Später fuhr ich mit einer Seilbahn hoch zum Niederwalddenkmal mit einer pompösen der Germania. Der Anlass zur Erbauung des Niederwalddenkmals war der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 und die anschließende Gründung des Deutschen Kaiserreiches am 18. Januar 1871. Das Denkmal wurde jedoch erst am 28.September 1883 nach zwölf Jahren Planung und Bau eingeweiht. Es besteht neben der monumentalen Germania noch aus patriotischem Heldentext, zwei Alegorien „Krieg“ und „Frieden“ sowie einem Relief mit 133 Personen in Lebensgröße, darunter Wilhelm I zu Pferde umgeben von Generälen und Fürsten aus  Nord- und Süddeutschland und fünf der sechs Strophen des Liedes „Die Wacht am Rhein“. Das Niederwalddenkmal reiht sich ein in die Liste der monumentalen Gedenkstätten des Kaiserreichs, wie dem Deutschen Eck in Koblenz, dem „Hermann“ bei Detmold, dem Kaiser- Wilhelm- Denkmal an der Porta Westfalica, dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, dem Bismarck-Denkmal in Hamburg, dem Barbarossadenkmal auf dem Kyffhäuserberg und der Walhalla bei Donaustauf. 

In Rüdesheim waren nachmittags die Touristen Ü70 unterwegs, abends Ü40 bis um 60. Ich dachte, dass ich gar nicht wissen will, was hier „ohne Corona“ los wäre. Es lagen fünf Kreuzfahrtschiffe vor Anker, zu denen die älteren Reisenden gegen 18 Uhr wieder zurückströmten. Die Kapazität jedes einzelnen Schiffes liegt so zwischen gut 100 bis knapp 200 Passagieren. Die Reisenden kommen aus Deutschland, Schweiz, Niederlande und Skandinavien. Die Läden und Hotels machen auf mich den Eindruck, in den 1970/80ern stehen geblieben zu sein: Mahagoniefurnier und Messinggriffe schmücken auch mein Zimmer im Hotel Felsenkeller, das war nach den Fotos noch die bessere Wahl. Direkt an den Rheinanlegern finden sich Wein- und Asbach-Läden, sehr große Souvenirshops mit Motivgläschen und Fachwerkhäusern aus Plastik, ein paar Restaurants. Es werden billiger Schmuck, billige Taschen, einfache Hüte/Mützen, Pullover aus Synthetikfasern, praktische (Angler-)Westen, Jacken, Schuhe und natürlich - als erste Neuerung seit 30 Jahren - auch Masken angeboten, für 24,95€ auch mit Foto von Rüdesheim. In der berühmten Drosselgasse gibt es auf 144 Metern 5 oder 6 Restaurants, ein, zwei Wein-  und ein paar Souvenirläden. Ich ging abends Wildfleisch-Burger essen, „aus eigener Jagd“. Das scheint mir auch eine jüngere Entwicklung zu sein. War lecker. 

🇨🇭 Einen Rückblick in die Schweiz: Mit gut 61% wurde am 27.09. die Volksinitiative der rechtspopulistischen Partei SVP abgelehnt, die Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union aufzukündigen. Der bezahlte zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub soll kommen (Zustimmung 60,3%) und das neue Jagdgesetz, das den Abschuss von Wölfen erleichtern sollte, wurde mit 51,9 Prozent abgelehnt. Das Budget für neue Kampfflieger steht bereit. 


Donnerstag, 24. September 2020

🇩🇪 Kaum da schon wieder weg!

Am Montagmorgen fuhr der Schnellzug gegen 07:20 Uhr in Venedig ab. Ich war zu Fuß zum Bahnhof gegangen, da ich früh wach war. Erstens schlafe ich immer schlecht, wenn ich per Wecker zu einer ungewohnten Zeit geweckt werden muss und zweitens nervte mindestens eine Mücke kolossal. Es war schön durch die Morgendämmerung zu spazieren.

Es ging erst wieder im Hochgeschwindigkeitszug der Trenitalia von Venedig nach Verona und von dort mit dem italienisch-österreichisch-deutschen „Eurocity“ Bologna-München (EC 88) über die Brennerbahn. Die Strecke der Brennerbahn wurde von 1864 bis 1867 von der k.k. priv. Südbahngesellschaft als Teil der Verbindung von Kufstein nach Ala und weiter in Richtung Verona gebaut. Sie quert den Alpenhauptkamm und führt über Bozen und den Brennerpass nach Innsbruck. Die Stecke ist auf italienischer Seite mit Gleichstrom, auf österreichischer Seite mit Wechselstrom elektrifiziert. Die eingesetzte Mehrsystemlok wechselt die Stromversorgung im Bahnhof Brenner/ Brenero. Es ging im Trentino und in Tirol durch eine Vielzahl von Tunneln. Der Schlern-Tunnel (italienisch Galleria Sciliar) zwischen Waidbruck und Blumau im Eisacktal  ist mit gut 13 km der längste davon. Er ist seit 1994 in Betrieb. Dieser und weitere Tunnel haben die Zugstrecke sicherer und die Strecke für Huckepackzüge und Rollende Landstraßen befahrbar gemacht. Seit 2007 wird außerdem am Brennerbasistunnel gebaut, der wird als österreichisch- italienisches Projekt von Innsbruck bis nach Franzensfeste 55 km lang sein. Geplant ist die Inbetriebnahme für das Jahr 2028. Parallel sind weitere Zulaufstrecken auf der Südrampe der Brennerbahn geplant, darunter etwa Tunnel auf der Strecke Franzensfeste – Waidbruck. Es wundert sicherlich niemanden wirklich, dass Deutschland auch bei der Verbesserung der Schienenverbindungen durch Bayern zum Brenner hinterherhinkt, analog zur Situation bei der Anbindung in Richtung  Gotthard-Tunnel in der Schweiz. Zur Erinnerung: Der Staatsvertrag zum Ausbau der Rheintalbahn zum Gotthard stammt von 1996, Erfüllung eventuell bis 2035. Aktuell ist die Verspätung am Brenner geringer, aber das kann ja noch werden. Der Staatsvertrag über den sog. Nordzulauf stammt von 2012, das Raumordnungsverfahren wurde im August 2020 abgeschlossen, die Vorzugsvariante soll bis Anfang 2021 gefunden sein. Dann kommen die konkreten Baugenehmigungen, Klagen, Ausschreibungen, ggf. Klagen der nicht berücksichtigten Baufirmen und irgendwann der Bau, zwischendurch ein paar Debatten über steigende Kosten. Ich finde im www keinen geplanten Fertigstellungstermin ... ach, wäre Elon Musk doch nur im Eisenbahngeschäft. 

Von München nahm ich den ICE nach Berlin über die Bahntrasse Nürnberg- Erfurt- Leipzig. Die Neubaustrecke Erfurt– Leipzig wurde für 300 km/h ausgebaut und im Dezember 2017 eingeweiht. Damit verkürzte sich die Fahrzeit München-Leipzig-Berlin für die gut 620 Schienenkilometer von sechs auf 4 1/2 Stunden. Die Investitionskosten lagen  bei rund 10 Milliarden Euro. Das Projekt umfasste den Bau von 37 Brücken und 27 Tunnel. Die Saale-Elster-Brücke ist mit 8.600 Metern nicht nur die längste Brücke des Projekts, sondern auch die längste Talbrücke Deutschlands. Der längste Tunnel des Projekts ist der Bleßbergtunnel (8.314 Meter). Er ist der viertlängste „aktive“ Bahntunnel in Deutschland und quert den Hauptkamm des Hohen Thüringer Schiefergebirges, wo auch der berühmte Rennsteig liegt. 

Im Vergleich waren die Covid-19 Schutzmaßnahmen in den italienischen Bahnhöfen und Zügen am ernsthaftesten und professionellsten mit Fiebermessen per elektronischem Thermometer bzw. mit Wärmebildkameras an den Zugängen, Einbahnverkehr in den Bahnhöfen und in den Zügen sowie Masken- und Desinfektionsmittelausgabe im Zug. Die ÖBB verteilte noch Desinfektionstücher im Zug. In München kontrollierte Polizei im Bahnhofsgebäude die Maskenpflicht. Übrigens: Die deutsche Corona-Warn-App hat bislang keine „Schnittstelle“ zu denen in Italien oder der Schweiz. 

Noch ein Rückblick nach Italien: Die Verkleinerung der Parlamente wird kommen.  70 Prozent der Italiener haben der Reduktion der Zahl der Abgeordneten von 630 auf 400 und der Senatoren von 315 auf 200 zugestimmt. Bei den Regionalwahlen ging es 3:3 aus, drei Regionen bleiben „rot“ (Toskana, Kampanien, Apulien), die drei anderen bekommen wieder rechtspopulistische und europafeindliche Präsidenten (Veneto, Ligurien, Marken). Damit wurde das Ziel des rechten, ehemaligen Ministerpräsidenten Salvini „6:0, dann Neuwahlen“ nicht erreicht. 

Wieder zu Hause standen erst mal so allgemeine Tätigkeiten wie Wäschewaschen und Post an. Ich genoss aber auch die schöne, sonnige Zeit. Am Mittwoch war ich morgens im See schwimmen, wahrscheinlich das letzte Mal in diesem Jahr. Danach schaute ich mir die Ausstellungen zu 30-Jahren-Deutsche Einheit in Potsdam an, die dieses Jahr über einen ganzen Monat läuft und aus unbelebten „Ausstellungscontainern“ der Bundesländer und Institutionen besteht. Manches fand ich ganz interessant, manches war aber auch eher lieblos in die Gegend gestellt. Ich fuhr zum dritten Mal in diesem Jahr mit einem Riesenrad. 
In den anderen Jahren gab es in einem der 16 Bundesländer ein Volksfest am 3. Oktober, das ging dieses Jahr nicht. Auch der „Festakt“ am 3.Oktober wird sehr klein, wo sonst über tausend Leute aus Politik und Gesellschaft zusammenkommen, werden es dieses Jahr 200. Ich beneide die Kolleg*innen nicht die Einladungsliste nicht so stark einkürzen und hunderten „Gewohnheits-VIP “ absagen zu müssen. 

Heute genoss ich noch etwas den letzten Sonnentag und packte den Rucksack wieder für eine Reise zur Loreley. Ich werde nun endlich einen praktischen Einsatz in der Landwirtschaft haben, wie ich es ursprünglicher  im Sabbatical mehrmals machen wollte. Es geht morgen früh per Zug über Frankfurt (Main) nach St. Goarshausen und dann auf einen Hof in der Gemeinde Bornich im Rhein-Lahn-Kreis in Rheinland-Pfalz. 


Sonntag, 20. September 2020

🇮🇹 Buona sera

Am Donnerstag ging es von Bern nach Brig und von dort mit einem SBB-TGV an Lago Maggiore und Gardasee vorbei nach Venedig. In der Schweiz fuhr ich also nochmals durch den Lötschberg-Basistunnel und dann durch den Simplontunnel nach Italien. Der Simplontunnel ist etwa 20 km lang und verbindet das Rhonetal mit dem Val Divedro. Die erste Tunnelröhre wurde zwischen 1898 und 1905 gebaut, die zweite zwischen 1912 und 1921. Die Seen strahlten blau und mancherorts von Palmen umstanden vor wunderschöner Bergkulisse. Ach ja, schöne Villen am See gab es auch. Ich hätte für den italienischen Abschnitt der Reise eine Reservierung haben müssen. Der italienische Schaffner kassierte 10€ plus 13€ Strafe, mein Lehrgeld, demnächst vorher mal im "Kleingedruckten" zu lesen. 

Der Zug war gegen 14:45 Uhr in La Serenissima („Die Durchlauchtigste“). Ich kaufte am Automaten gleich eine 72 Stunden-Karte fürs Vaperetto (40€) und war recht flink in der Pension Fortuny. Der Hausherr, Andrea, begrüßte mich herzlich und gab mir Tipps für meine Zeit in Venedig. Im spazierte später noch etwas durch die Gegend und aß um die Ecke zu Abend. Auch wenn die Vaporettos voller Leute sind, so ist die Stadt doch recht leer: Keine Kreuzfahrtschiffe am Kai, keine Asiaten, Araber oder Amerikaner auf Europatour, nur Italiener, Deutsche, Niederländer, Österreicher, Schweizer und ein paar Franzosen. Andrea erzählte mir, die Deutschen seien die ersten Gäste nach dem Lockdown gewesen und hätten ihm das Geschäft gerettet. Alle drei Zimmer im Haus werden gerade von Deutschen bewohnt. 

Ein bisschen Geographie, Geschichte und Statistik: Die Lagune entstand ab etwa 4000 v. Chr. durch Ablagerungen des Flusses Brenta sowie anderer Gewässer  Oberitaliens. Die Flusssedimente überdecken eine Grundschicht aus Lehm und Sand, die zwischen 5 und 20 m dick ist. Die Lagune hat einen nördlichen Teil, der vorwiegend Süßwasser enthält und von den Gezeiten kaum beeinflusst ist, dort liegt z.B. die Insel Torcello. Der südlichere Teil ist eine Salzwasserlagune mit Ebbe und Flut. Flora und Fauna der venezianischen Gewässer sind von großem Artenreichtum geprägt: Viele Fische leben hier, über 60 Vogelarten brüten in der Lagune, zudem überwintern Haubentaucher und Schwarzhalstaucher, Silberreiher und verschiedene Entenvögel. Neben Fischen und Vögeln leben auch Säugetiere, zahlreiche Insekten- und Spinnenarten in der Lagune. Bei den Pflanzen finden sich viele, die Salzwasser mögen, wie Queller. Zudem findet sich Schilfrohr und Rohrkolben. Erste Besiedlungen sind durch die Etrusker nachgewiesen, etwa ab 800 v.Chr. Venedig war ab dem 9. Jahrhundert n. Chr. bis 1797 Hauptstadt der Republik Venedig und Ende des 18. Jahrhunderts mit über 180.000 Einwohnern eine der größten europäischen Städte. Bis ins 16. Jahrhundert war sie eine der bedeutendsten Handelsstädte, über die der überwiegende Teil des Handels zwischen Westeuropa und dem östlichen Mittelmeer abgewickelt wurde. Venedig unterhielt die meisten Handels- und Kriegsschiffe. Der Adel profitierte vom Handel, die Stadt entwickelte sich zum größten Finanzzentrum und dominierte ein Kolonialreich, das von Oberitalien bis Kreta und zeitweise bis nach Zypern reichte. Nach französischer und österreichischer Herrschaft wurde Venedig 1866 ein Teil Italiens. Am 31. Dezember 2019 hatte Venedig 259.150 Einwohner, davon 179.794 in den Stadtteilen auf dem Festland, 52.996 im historischen Zentrum und 27.730 innerhalb der Lagune. 

Am Freitagmorgen ging ich über den fast leeren Markusplatz und besichtigte den ebenso ruhigen Dogenpalast und nach der Durchquerung der Seufzerbrücke auch das dazugehörige Gefängnis. Der Palazzo Ducale war seit dem 9. Jahrhundert Sitz des Dogen und der Regierungs- und Justizorgane der Republik Venedig. Der Palast war Regierungs- und Verwaltungszentrum. Ab 1340 begann unter der Regierung der Dogen Bartolomeo Gradenigo die vollständige Umgestaltung des Palastes zur heutigen Form. Nach Bränden im 15. und 16. Jahrhundert baute man die Gebäude nach den Plänen des 14. Jahrhunderts wieder auf, man sparte zu keiner Zeit weder innen noch außen an Prunk. Der obere Teil der Innenwände und vor allem die Decken sind mit goldverzierten Ornamenten und Bildern der führenden Künstler Venedigs versehen. Vom Palast gelangt man auch auf die Ponte dei Sospiri, die Seufzerbrücke, über den Rio di Palazzo und weiter zum Gefängnis. Die  elf Meter lange, weiße Kalksteinbrücke wurde geplant von Antonio Contin, einem Enkel von Antonio da Ponte, dem Erbauer der Rialtobrücke. Gebaut wurde 1600 bis 1603. Über die Brücke führen zwei durch eine Mauer getrennte Wege, die den Blick von abgeführten Gefangenen auf die dem Gericht vorzuführenden verhindert. Die Brücke erhielt erst im Zeitalter der Romantik ihren Namen, in der Vorstellung, dass die Gefangenen auf ihrem Weg ins Gefängnis von hier aus zum letzten Mal mit einem Seufzen einen Blick in die Freiheit der Lagune werfen konnten. 

Am Nachmittag war ich in der Peggy Guggenheim Sammlung, einer außergewöhnlichen Kunstsammlung des 20. Jahrhunderts mit Bildern u.a. von Pablo Picasso, Max Ernst, Wassily Kandinsky, Paul Klee, René  Magritte und Piet Mondrian. Peggy Guggenheim erwarb 1949 den Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande, einen unvollendeten Palast aus dem 18. Jahrhundert, ließ ihn fertigstellen und nutzte ihn zum Wohnen und für Ausstellungen. Sie lebte bis an ihr Lebensende 1979 in Venedig und ist neben ihren Hunden im Garten des Palastes beerdigt. 

Anschließend spazierte ich im nördlichen Arsenal herum und dank eines freundlichen Pförtners konnte ich auch noch zwischen Kunst und im Umbau befindlichen Hallen fotographieren. 

Den Samstag begann ich mit Leonardo Da Vinci, seinen berühmten Bildern, seinen medizinischen Zeichnungen und seinen technischen Geräten. Im  Museum sind einige Nachbauten (z.B. Fluggeräte, Hygrometer  oder eine wiederverwendbare Steckbrücke) ausgestellt und man kann auch selber etwas bauen. Danach fuhr ich mit dem gestopft vollen Vaporetto nach Burano und weiter nach Torcello. Die Insel Torcello ist wahrscheinlich seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. besiedelt, sie hatte im 10. Jahrhundert vermutlich 10.000 bis 20.000 Einwohner und war zu dieser Zeit größer und reicher als Venedig. Man wirbt noch heute damit, dass auf Torcello die Wiege Venedigs stand. Es gab zwei Benediktiner- und zwei Zisterzienserklöster und mehrere Palazzi, von denen nur noch zwei erhalten sind. Die früheren Bewohner haben fast alles brauchbare Baumaterial beim Umzug nach Murano oder Venedig mitgenommen. 

Heute lebt noch etwa ein Dutzend Menschen auf der Insel. Am Wochenende ist Torcello ein beliebtes Ausflugsziel. Die Vaporettos waren am Samstag voll,  private Boote sausten über die Lagune oder parkten an den Gartenrestaurants am Kanal. Es gibt noch einen Spielplatz und heute gab es eine Hochzeit und eine Taufe in der Kathedrale Santa Maria Assunta. Von Torcello fuhr ich nach Burano, der Insel der bunten Häuser und später auf die Glasinsel Murano. Abendessen gab es auf der Insel Guidecca mit Blick auf Campanile, Markusdom und Dogenpalast.

Heute fuhr ich nochmals nach Murano und danach zur Friedhofsinsel. Auch heute strömten die Venezianer und viele Touristen raus auf die Inseln. Ich fuhr mit der Linie 4 östlich um San Marco herum, dann saß ich schon, als die Massen sich an der Station Fondamente Nove, kurz F‘te Nove, reindrängelten. Die Station ist der Hauptumsteigepunkt im Norden von und zum Flughafen und zu den Inseln. Auf Murano bummelte ich nochmals durch einige Glasshops. Auf der Friedhofsinsel quälten mich und andere viele Mücken, ich fand aber auch das Grab von Igor Stravinsky und seiner Frau. Zurück am Markusplatz wollte mir eine Möwe mein Ciabatta abjagen, sie kam im Sturzflug von hinten. Ich habe mein Mittagessen retten können und dann im Schutz der Kolonnaden aufgegessen. 

Heute und morgen stimmen die Italiener in einem Referendum über die Verkleinerung des Parlaments ab, außerdem sind Regionalwahlen u.a in Venezien und Venedig wählt einen neuen Bürgermeister. Weitere Regionalwahlen sind in Kampanien, Ligurien, Marken, Apulien, Aostatal und in der Toskana. Ich sah gestern Tafeln mit den Kandidatinnen und Kandidaten auf Murano. Es ist die erste Wahl seit Beginn der Corona-Infektionen, erste Ergebnisse soll es morgen Nachmittag geben. Die Regionalwahl wird als Stimmungsbarometer für die nationale Mitte-Links-Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte gesehen. 

Ich fuhr in den letzten Tagen viel Vaporetto, auch wenn es voll war fand ich immer irgendeinen Platz am Rand mit Fenster oder an Deck, wo natürlich alle hin wollten. Es ist ein Erlebnis so durch die Stadt zu reisen, die An- und Ablegemanöver sind schnell und wackelig. Das wäre bei unserer Prüfung für den Bootsführerschein nicht durchgegangen. Man muss meist raten, welche Linie da kommt, aber ich hatte ja Zeit für ungeplante Umwege. Die Einzelfahrt kostet stolze 7,50€, die Tageskarte 20€, dann wird’s billiger mit plus 10€ für jeden weiteren Tag. Neben dem Kapitän gibt es noch eine Person an Bord, die für die Anlegemanöver, Ein- und Ausstieg und wenn jemand unbedingt ein Ticket an Bord kaufen will zuständig ist. Manchmal wird es dann hektisch auf dem vollen Boot, da manche Stopps nur zwei Fahrminuten voneinander entfernt sind. Es wird hier natürlich alles per Boot transportiert, die Post, die Waren, die Kranken und auch die Toten. Im Hafen lag gestern auch noch die 97- Meter-Luxusyacht „Carinthia VII“, gebaut in der Lürssen-Werft in Bremen. Sie gehört der österreichischen Kaufhauserbin Heidi Horten und fährt unter der Flagge Maltas. Nach einem Schiffstracker liegt sie seit 23. Juni in Venedig vor Anker.

Übrigens wird der Müll  in Venedig allmorgendlich von zwei netten Müllmännern direkt abgeholt. Es wird geklingelt, ein kurzes Schwätzchen gehalten und dann der Beutel entgegengenommen. Andrea erzählte mir, dass dies so sei, um den Möwen das Futter zu verwehren und zerfetzte Müllsäcke zu vermeiden. 

Morgen früh fahre ich gegen 7 Uhr nach Hause. Es geht erst nach Verona, dann nach München und dann weiter nach Berlin. Wenn alles gut klappt, bin ich dann gegen 20:00 Uhr zu Hause in Potsdam.






Mittwoch, 16. September 2020

🇨🇭 Auf Wiederluarge

 

Nach dem Regen am Donnerstag abend hingen die Wolken am Freitag im Tal. In den Bergen findet sich dann trotzdem oft ein Plätzchen oberhalb der Wolken. Früher hörte ich im Radio auf das Zauberwort „Wolkenobergrenze", heute suche ich die Bilder der webcams an den Bergstationen. Das erste Freitagsziel war gefunden: Mit der Standseilbahn hoch zum Muottas Muragl (2.453 m), dem Ausflugsberg zwischen Samedan und Pontresina mit Ausblick über das Oberengadin mit der Engadiner Seenplatte und auch zum Piz Corvatsch. Die  Muottas Muragl-Bahn (MMB) hat eine Streckenlänge von 2.199 m und überwindet 709 m Höhendistanz, sie wurde 1907 eröffnet und ist die älteste Bergbahn im Engadin. Ich genoss erst einmal Sonne und Ausblick und wanderte dann den Panoramaweg entlang und runter nach Pontresina, um dort noch einen Sessellift zu finden, der mich mit der Freikarte wieder hoch brachte zur Alp Languard (2.325 m). Die hätte ich mit dem Panoramaweg auch gleich erreichen können, ohne Abstieg. Von der Bergstation des Sessellifts wanderte ich in etwa 45 Minuten steil hoch zur Paradis Hütte mit Blick auf den Rest des Morteratsch-Gletschers, diese Mal aus 2.540 m Höhe. Auf dem Rückweg über das Languard-Tal sah ich einige Murmeltiere an ihren Bauten und wunderte mich, wie wenig scheu sie sind. In dieser Region wurden auch Steinböcke wieder angesiedelt, die sah ich aber nicht. Nach Pontresina ging es wieder mit dem Sessellift. Das ist auch nichts für jede Frau und jeden Mann:  Mit Talblick im Sesselllift 500 Höhenmeter überwinden, oft in 30 m Höhe. Es dauert etwa 10 Minuten, inklusive Umlenkstelle mit etwa 135 Grad und entsprechender Schaukelei. Ich spazierte noch durch den Ort und wartete dann auf den Bus zurück zum Hotel. Auch Pontresina wirkte auf mich wie ein Wintersportort, der ein paar Angebote für Mountainbiker und Wanderer ins Programm aufgenommen hat.

Am Samstag nahm ich gegen 08:00 Uhr den Zug in Richtung Chur und fuhr über Reichenau-Tamins und Disentis nach Andermatt. Es ist die Route des Glacierexpress, nur eben mit Umstiegen.  Andermatt wurde 1203 erstmals urkundlich erwähnt, das Benediktinerkloster Disentis hatte in dem Raum aber wohl schon früher Grundrechte, die erst Mitte des 17. Jahrhunderts abgelöst wurden. Reiste Goethe hier noch 1797 zu Fuß, so gewann der Ort durch den Bau des Gotthardpasses (1818-1830) sowie von Oberalp- und Furkapass an Bedeutung als Handels-, Ferien- und Kurort. Die Eröffnung des Gotthard-Eisenbahntunnels 1882 war dann jedoch ein ziemlicher "Schlag ins Kontor", auch wenn der Tourismus der reichen Engländer im 19. Jahrhundert wirtschaftlich eine Rolle spielte und sich durch den Bau des  Grandhotel "Bellevue" auch architektonisch widerspiegelte. Dann kam der zunehmende Autoverkehr  am Gotthard und Aktivitäten des Schweizer Militärs, man hatte wohl vor Ort sein Auskommen. Der Tourismus spielte eine untergeordnete Rolle. Doch seit Anfang der 2000er hat Samih Sawiris, ein Investor aus Kairo, der in Berlin studiert hat, den Ort entdeckt. Er arbeitet seitdem mit dem Immobilienentwickler und Hotelbetreiber Orascom Development Holding an dem Plan in Andermatt das größte Luxusresort der Alpen zu errichten, das "Feriendorf Andermatt Reus": 4-5* Hotels, Ferienwohnungen, Villen plus neues Skigebiet und Golfplatz. Erfahrungen hat Sawiris dafür in Hugharda gesammelt. Es entstand die SkiArena Andermatt-Sedrun mit Investitionen in Höhe von 130 Millionen Franken für neue Transport-  und diverse Beschneiungsanlagen. Das Gebiet umfasst über 120 Pistenkilometern mit 22 Anlagen und ist damit das grösste Skigebiet der Zentralschweiz. Den Änderungen im Planungsrecht  zur Umsetzung der Investionsprojekte auf ehemaligem Militärareal oder landwirtschaftlichen Flächen haben die Stimmbürger*innen der betroffenen Gemeinden jeweils zugestimmt: Andermatt mit 96%, Hospental 88%. Im Jahr 2018 genehmigten außerdem die Stimmberechtigten in Tujetsch (85% Zustimmung) den Verkauf der ehemals gemeindlichen Aktien an den Sportbahnen Sedrun an Sawiris' Gesellschaft Andermatt-Surselva Sport zur Einrichtung der neuen SkiArena. Das ist schon eine engere Beteiligung der Bevölkerung, als bei uns mit Auslegung und Widerspruchsmöglichkeiten. Es muss sehr konkret um die Zustimmung geworben werden. Nach der Verschlechterung der Zugverbindungen nach Andermatt nach der Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels im Dezember 2016 wurden 2017 Busverbindungen eingeführt, um die Gäste aus Zürich, Luzern oder Basel direkt an die Talstation in Andermatt zu bekommen. Die Busfahrkarte beinhaltet gleich die Tageskarte für die Piste. Außerdem hat die  SkiArena flexible Preise für Skitickets eingeführt: Je früher man bucht, desto günstiger die Tarife.

Ich übernachte im Radison im neuen Feriendorf: Kurzer Weg durch den neuen Bahnhof - in dem es auch gleich einen Zugang zur neuen Bergbahn gibt - und unter der Gotthardstrasse durch, sehr modernes Design, lockere, freundliche Atmosphäre. Im Zimmer werden die benachbarten Wohnungen zum Kauf angeboten mit dem Hinweis, dass die üblichen "Zweitwohnungsregeln" der Schweiz nicht gelten. Und jetzt endlich weiß ich auch, wo zumindest die Schweizer Millionäre sind: Mit Labourgini, Jaguar, Porsche oder Maserati über die Pässe und dann  in Andermatt übernachten. 

Nach dem Einchecken im Radisson machte ich mich auf nach Oberwald (1.366 m) zur Station der Furka-Bergbahn. Der Bau der Zahnradstrecke über den Furkapass wurde 1911 von der Brig-Furka-Disentis-Bahn (BFD) begonnen und 1915 aufgrund der durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges bedingten finanziellen, technischen und personellen Probleme eingestellt. Nach dem Konkurs der BFD im Jahr 1923 wurden die Bauarbeiten 1924 von der neu gegründeten Furka-Oberalp-Bahn  mit Unterstützung der beiden benachbarten Bahngesellschaften Rhätische Bahn und Visp-Zermatt-Bahn wieder aufgenommen und die Strecke 1925 eröffnet. 1942 wurde die Strecke elektrifiziert. Wegen der schwierigen Lawinensituation war die Bergstrecke nicht wintersicher: Im Spätherbst wurden die Fahrleitung abgebaut sowie die Steffenbachbrücke zusammengeklappt. Alle Tunnelportale wurden mit Toren verschlossen. Aufgrund der fast siebenmonatigen Winterpause und den anschliessend jeweils nötigen Aufräum- und Instandsetzungsarbeiten war der Betrieb sehr aufwändig und kostspielig. Mit der Eröffnung des Furka-Basistunnel 1982 wurde der Betrieb eingestellt. Die Strecke wird jetzt im Sommer zwischen Realp und Oberwald von einem historischen Dampfzug und einem Dieselzug befahren. Die Steffenbachbrücke wird immer noch im Herbst ab- und im Frühjahr wieder aufgebaut. Mehr zum Zug hier. Die Fahrt im Dampfzug muss man auf jeden Fall reservieren. Die Fahrt im Dieselzug ist mit der Gästekarte kostenlos, im Dampfzug gibt es 20% Rabatt. Das Interrail-Ticket gilt in keinem der beiden Züge. Da hatte mich das Reisebüro falsch informiert, aber ich hatte ja die Gästekarte im Hotel bekommen. Wir waren etwa zwölf Leute im Dieselzug. Der Dampfzug, dem wir in Glesch begegneten, war ausgebucht. Die Fahrt ging spektakulär hoch bis Gletsch, am Fuße des Rhône- Gletschers, dort hat der Dieselzug etwa eine Stunde Aufenthalt. Den nutzte ich für einen Besuch im Museum mit Bildern des Rhône-Gletschers, einen Spaziergang in Richtung Gletscher und einen Kaffee an der Passstrasse, wo schnelle Cabrios und viele Motorräder vorbeifuhren. Aus dem Tal sieht man den Gletscher inzwischen nicht mehr, nur noch die Wasserfälle mit dem Schmelzwasser. Mit dem Zug ging es weiter hoch bis auf die auf die Passhöhe in Furka (2.163 m)und dann in Kurven und Tunneln wieder runter nach Realp (1.546 m) und von dort zurück nach Andermatt. 

Am Sonntag fuhr ich wieder durch den Furkaturmel nach Brig und weiter nach Bern. Die Wärme im Tal war unerwartet nach all den Tagen in den Bergen. Am Montag spazierte ich bei um die 28 Grad mit Freunden durch die Stadt. Wir besuchten die Bären im "neuen" Gehege (2009) statt im traurigen Bärengraben und sahen den Leuten zu, die sich von der Aare hinabtreiben ließen. Am Dienstag wanderten wir etwas in der Gegend am Längenberg mit Blick auf die Alpen. Der Mittwoch startete mit einer Radtour in der Umgebung von Grossaffoltern und Rapperswil mit Blick auf den Jura und Kaffeepause im Hotel Sonne (https://www.sonne-scheunenberg.ch). Später fuhren wir nach Solothurn, dem Hauptort des gleichnamigen Kantons am Fuße des Jura. Die Stadt hat etwa 17.000 Einwohner. Wegen des früheren Sitzes der französischen Botschaft (16.–18. Jh.) wird Solothurn traditionell «Ambassadorenstadt» genannt. 

Abends ging es noch gemeinsam zum Yoga. Danach packte ich sehr entspannt meinen Rucksack wieder, morgen geht es nach Venedig. 

Am 27. September stehen in der Schweiz landesweit wieder verschiedene Initiativen zur Abstimmung, darunter  eine zur Begrenzung der Zuwanderung aus den EU-Mitgliedstaaten, eine zur Änderung des Jagdgesetzes - da geht's hauptsächlich um die Bedingungen für den Wolfsabschuss - eine Initiative zur Bereitstellung des Budgets von bis zu 6 Milliarden Franken zum Kauf neuer Kampfflugzeuge und eine für das Recht auf einen zweiwöchigen (!), bezahlten Vaterschaftsurlaub in der Schweiz. Die Gegenargumente beim letzten Thema wären in Deutschland von Arbeitgeberseite auch nicht viel anders: zu teuer, schädlich für die Wirtschaft, gerade für KMU und wer will, kann doch einfach Urlaub nehmen und eines finde ich noch besonders zukunftsweisend in einer alternden Gesellschaft "Es ist missbräuchlich, alle bezahlen zu lassen, damit einige wenige mehr Zeit mit ihrem neugeborenen Kind verbringen können." Die Stimmbürger bekommen zu den Themen jeweils ein Informationspaket mit den Inhalten, die zur Abstimmung stehen, den Pro- und Kontra-Argumenten sowie einer Empfehlung der Regierung, die heißt hier Bundesrat, und des Parlaments. An im Schnitt vier Terminen pro Jahr stehen die Abstimmungen an, dazu kommen noch Themen des Kantons oder der Gemeinde, z.B. zu Budgetfragen. 





Freitag, 11. September 2020

🇨🇭 Keine Millionäre, dafür schönes Wetter und Fernsicht

Den fünften Reisetag meines Interrail-Tickets - von insgesamt zehn - nutzte ich für eine Fahrt von Celerina über Filisur und dann mit dem Nostalgiezug nach Davos-Platz. Im regulären Zug gab es eine Kamera beim Lokführer, um die Albula-Strecke verfolgen zu können. Im Nostalgiezug ab Filisur gab es 1. Klasse in Plüsch - war leider schon belegt -, 2. Klasse in Holz und zwei offene Panoramawaggons. Ich entschied mich für die „Holzklasse", die war leer und die offenen Waggons fand ich nicht sehr attraktiv, wegen der Temperatur und der vielen Tunnel. Die elektrische Lokomotive ist von 1929. Die Fahrt dauert etwa eine Stunde. Es gelten alle "Normaltickets", kein Zuschlag, keine Reservierung nötig. Der „Nostagiezug" fährt 2x täglich pro Richtung, die Zeiten gibt es hier. Ich spazierte von Davos-Platz in Richtung Davos-Dorf. Es gibt überall viele Wanderer und Mountain-Biker, aber die „Schönen und Reichen" fehlen in Davos wie auch schon in St. Moritz. Das Steigenberger-Hotel in Davos und das Hotel Kulm in St. Moritz sind geschlossen, die einen schreiben was von "Saisonvorbereitung", die anderen von "Corona-Schutzbestimmungen". Auch andere Hotels wirken leer, bei Prada, Breitling etc. keine Kundschaft, der Maserati Shop ohne Autos. Man fährt hier wohl nur im Winter hin, um sich zu zeigen. Im Sommer ist man woanders, dieses Jahr vielleicht sogar zu Hause. 
Seit 09.09. ist übrigens die Metropolregion Genf-Lausanne mit den beiden Kantonen Genf und Waadt (Lausanne) als erstes Corona-Risikogebiete in der Schweiz vom RKI festgelegt worden. Belgien hatte das schon Anfang August gemacht ("Zone rouge"). Belgien traf seine Entscheidung am 04.08. und man regte sich in der Schweiz über die Belgier heftig auf, obwohl Genf auch nach den Schweizer Regeln (60/100.000) da schon als "Risikogebiet" hätte eingestuft werden müssen. Man setzte Belgien insgesamt (die Schweiz differenziert nicht nach Regionen) am 20.08. auf die Liste der Risikogebiete und ab 04.08. verschärfte man in Genf die Covid-19 Schutzmaßnahmen. Deutschland brauchte für die Erkenntnis nun rund einen Monat länger, als Belgien, vielleicht auch weil die frankophone Welt in Deutschland weiter weg ist, als Spanien. Belgien ist seit 07.09. wieder von der Schweizer Liste runter, Frankreich war nie drauf "honi soit qui mal y pense". Das RKI hat sechs Regionen in Frankreich (ohne Überseegebiete) auf der Risikoliste, Belgien fünf. Der Unterschied: Ile-de-France mit Paris. In Italien steht Frankreich gar nicht auf der Liste der Risikogebiete, dafür z.B. Spanien, Kroatien und Griechenland insgesamt, sie unterscheiden, wie die Schweiz, auch nicht nach Regionen. Griechenland taucht beim RKI wiederum gar nicht auf. 
Zurück nach Davos. Mir kam auf einmal Hans Castorp und der „Zauberberg" in den Sinn. Das Buch von Thomas Mann hatte ich im Frühjahr gelesen, als mein Plan fürs Sabbatical noch ein ganz anderer war. Ich wanderte also zu Schatzalp. Historisch belegt ist, dass die Ehefrau von Thomas Mann, Katia Mann, zu den ersten Patientinnen des 1911 eröffneten Waldsanatoriums "Waldhotel Davos" gehörte. Sie kurierte dort einen "Lungenspitzenkatarrh" aus, in damaliger Zeit als beginnende Tuberkulose bewertet. Als Thomas Mann seine Frau im Frühling 1912 besuchte, wurde er wohl zum Roman "Der Zauberberg" inspiriert. Aufgrund seiner Eindrücke und anhand von Briefen seiner Frau entstand der Roman, den er dann aber erst 1924 fertigstellte. Das "Waldhotel" wurde bis 1957 als Waldsanatorium geführt. Die Davoser Freiluft-Liegekur mussten Patienten bei jedem Wetter täglich auf den grossen Terrassen der Sanatorien einhalten. Der Roman wird von den Lesern  auf der Schatzalp angesiedelt. Ein schönes Jugendstil-Hotel mit Fernblick und einem wunderschönen botanischen Garten, das auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Auf der Terrasse, wo einst die Sanatoriums-Patienten ihre Tuberkulose auskurierten, machte ich Pause bei Sonne, Fernblick, Tee und Flammkuchen. 
Ich fuhr gegen 15:30 Uhr mit der Standseilbahn runter und nahm einen Zug von Davos-Platz nach Klosters, da wo außer dem Prinzen von Wales, Paul Newman, Gene Kelly, Greta Garbo auch ab und zu  Uckermärker Urlaub machten bzw. machen. Weiter ging es durch den 19 km langen Vereinatunnel (1999) nach Sagliains und nach kurzer Wartezeit über Samedan zurück nach Celerina. Der Vereina-Tunnel ist nicht nur für den Personen- und Güterverkehr wichtig, er schafft auch per Autoverladung eine schnelle und wintersichere Verbindung zwischen Nordbünden und dem Unterengadin. Früher ging es mit dem Auto von Davos nach Susch über den 2383 m hohen Flüelapass mit hoher Lawinengefahr. Apropos Gefahren in den Bergen: Am Mittwoch legte Steinschlag die Eisenbahnstrecke am Berninapass von morgens gegen sieben bis zum Mittag lahm.
Am Mittwoch nutzte ich die Buskarte des Hotels und fuhr nach Maloja. Ein älterer Herr bemerkte im Bus ganz verwundert, dass er von einer kleinen Frau im großen Bus chauffiert wurde. Seine Frau fand das scheinbar normal, er wunderte sich lange, wie die das schafft. Westlich von Maloja schließt sich der Malojapass an, der mindestens seit der Römerzeit als Verbindung zwischen Engadin mit dem Inntal und dem italienischen Bergell genutzt wird. Ich spazierte zum Torre Belvedere, einem Aussichtsturm, den der in Brüssel geborene belgische Graf Camille de Renesse 1882 als Teil seiner geplanten Privatresidenz erbauen ließ. Der Graf ließ außerdem 1882-1884 das Hotel "Kursaal de la Maloja" mit etwa 250 Zimmern, 20 Ess- und Ballsälen, das heutige Hotel "Maloja Palace", bauen. Es wurde am 01.07.1884 eröffnet. Da jedoch nur wenige Tage nach Eröffnung des Hotels in Italien eine Cholera-Epidemie ausbrach und die Grenzen geschlossen wurden, musste Graf de Renesse Ende 1884 Konkurs anmelden. Irgendwie gerade ganz aktuell im Tourismusgewerbe. Das Hotel blieb bis 2006 im Besitz der "Christlichen Krankenkasse" Belgien. Das geplante Schloss blieb unvollendet. Die bestehenden Gebäude wurden als Hotel und später als Bildungsinstitut genutzt, nach einem Brand wurden die Anbauten des Turms weitgehend abgetragen. 1953 erwarb die Naturschutzorganisation Pro Natura den Turm zusammen mit dem umliegenden Bergföhrenwald und den Gletschertöpfen und richtete ein Naturschutzgebiet ein. Die Gletschertöpfe fand ich sehr beeindruckend. Ich habe noch nie so deutliche und so viele gesehen. Gletschertöpfr bilden sich durch Wirbel im abfließenden Schmelzwasser von Gletschern. In diesen Wirbeln können Fließgeschwindigkeiten von bis zu 200 km/h und hoher Druck herrschen, so dass sich die Löcher bilden. Ich wandere dann von Maloja entlang des Silser Sees. Später stieg ich etwas hoch ins autofreie Fextal. Da war ich im Winter 1989/90, wenn ich mich richtig erinnere, mal Skifahren und wir sind damals mächtig eingeschneit. Die Herberge "Chesa Pool" von damals ist heute eine "vegetarische Pension", in der man von 8-Bett-Zimmern nichts mehr wissen will. Ich machte auf der Sonnenterrasse eine kleine Pause bei Buchweizen-Salat. Weiter ging es über Sils Maria, wo wir damals beim Hotel Schweizerhof das Auto unter zwei Metern Neuschnee erst finden und dann ausgraben mussten, zum Silvaplana-See. Auf dem See Kitesurfer, Segler und Surfer. Der Wind frischt im Tal ab Mittag mächtig auf. Am Nachmittag kam ich in Silvaplana an und mit Bus und Bahn zurück nach Celerina. Im Hotel ging's erst ins Schwimmbad, dann in die Sauna. Am Donnerstag war "Bergbahnentag" mit der Freikarte des Hotels, denn der Wetterbericht sagt eine langsame Verschlechterung voraus. Es ist ja noch sehr warm, selbst morgens ist es noch um 5 Grad, tagsüber um 18 Grad, aber die Regenwahrscheinlichkeit steigt und das ist nicht gut für die Fernsicht. 
Erst fuhr ich mit dem Bus nach Silvaplana und dann mit der Gondel hoch zum Piz Corvatsch auf über 3.300 m. Es gab eine super Fernsicht auf Gletscher, Berge und die Seenkette zwischen Maloja und St. Moritz. Ich genoss Ausblick und Sonne eine Weile und fuhr nach rund einer Stunde wieder mit der Gondel runter und dann mit dem Bus zu „Signalbahn" (1972) in St. Moritz-Bad. Von der Bergstation wanderte ich quer in Richtung Corviglia und weiter über den Stausee "Lej Alv" auf rund 2.500 m zur Bergstation "Marguns",  oberhalb von Celerina. Da es noch früh war, nahm ich auch noch die Standseilbahn von St. Moritz- Dorf zum Corvilia und weiter die Gondel zum Piz Nair auf gut 3.000 m. Beide Bergbahnen hatte ich bei meiner kleinen Wanderung gesehen. Das Skigebiet Corviglia- Marguns entwickelte sich seit 1913 mit dem Bau einer Drahtseilbahn und wurde erweitert für die Winterolympiade 1928, dem Startpunkt für bedeutenderen Wintertourismus in St. Moritz.  Aus der Gondel sah im einen Regenbogen über dem Tal, obwohl es dort nicht regnete. Vom Gipfel des Piz Nair konnte in gut rüber am Piz Corvatsch schauen, dessen Gipfel sich etwas in Wolken hüllte. Am Piz Nair kann man übrigens in einer Gondel nächtigen, es gibt aber eine Warteliste. Ich fuhr mit Gondel und Standseilbahn wieder runter und spazierte nach St. Moritz- Bad, um dort etwas zu essen. Abends gegen 21 Uhr regnete es dann wirklich. 
Die Geschichten von heute zu Bergen, Wolken und mit Murmeltieren gibt es später. Ich muss meinen Rucksack für die Weiterreise morgen nach Andermatt packen. Noch ein bisschen kulturelle Bildung zum Abschluss: 







Montag, 7. September 2020

🇨🇭Panoramazüge

Am Samstagmorgen ging es in Zermatt mit dem „Glacierexpress" nach St.Moritz.  Dieser "langsamste Schnellzug der Welt" fährt als touristische Verbindung schon seit 1930: Im Jahr 1926 war die Strecke über Furka- und Oberalppass eröffnet worden, 1930 die Strecke Visp-Brig. Mit meinem Interrail-Ticket war die Reservierung mit Zuschlag (38 Euro) zu zahlen, das hatte das Reisebüro erledigt.

Die Glacierexpress-Route führte erst mal wieder mit Zahnrad-Unterstützung über Streckenabschnitte mit 12,5 % Neigung von Zermatt runter ins Tal über Visp nach Brig. Der Ort an der Rhone wurde um 1250 gegründet und ist bis heute eine wichtige Stadt für Handel und Verwaltung.  Weiter ging es durch den Furka-Basistunnel nach Andermatt. Der Tunnel ersetzt seit 1982 die spektakulärere, aber störanfällige Passfahrt. Ich plane die Fahrt über den Furkapass mit einem alten Dampfzug am kommenden Wochenende. Am Furkapass verläuft übrigens die Wasserscheide zwischen Adria (Po) und dem Westlichem Mittelmeer (Rhône). Den höchsten Punkt der Reise erreichten wir wieder mit Zahnrad-Unterstützung am Oberalbpass (2.033m) in der Nähe der verschiedenen Quellen des Vorderrheins. Danach ging es runter ins Vorderrheintal, vorbei an Disentis mit einem mächtigem Benediktinerkloster und der beeindruckenden Rheinschlucht nach Chur. 

Die Rheinschlucht (Ruinaulta) entstand nach dem Flimser Bergsturz, dem bislang größten bekannten Bergsturz der Welt. Vor rund 9.500 Jahren (also nach der letzten Eiszeit) brachen zwischen dem Flimserstein und dem Piz Grisch über 10 Milliarden Kubikmeter Fels ab und begruben das Vorderrheintal unter einer mehrere hundert Meter mächtigen Schuttmasse. Zum Vergleich: Der Bodensee hat etwa 48 Milliarden Kubikmeter Wasser, der Chiemsee 2 Milliarden Kubikmeter, die Bigge 170 Millionen, der Cottbuser Ostsee nach Fertigstellung 150 Millionen, der Parsteinersee 77 Millionen. Da der Vorderrhein nicht mehr abfliessen konnte, wurde auf einer Länge von circa 25 km ein See aufgestaut. Im Laufe der Zeit schnitt sich der Fluss in die Bergsturzmassen ein und der entstandene See konnte irgendwann abfliessen. Zurück blieb die Ruinaulta mit steilen Kalkstein-Schuttklippen und beeindruckenden Erosionsformationen. Die Geologiefreunde finden hier mehr. 

In Bonadus, kurz vor Chur, fliessen Vorder-und Hinterrhein zusammen. Chur ist die Hauptstadt des Kantons Graubünden und hat heute etwa 38.000 Einwohner. Nachweise für eine Besiedlung der Region reichen bis in die Jungsteinzeit (ca. 4.000 v. Chr.) zurück, die Lage am Rhein und die günstige Lage zu den Alpenpässen machte die Gegend attraktiv, irgendwie kamen alle irgendwann vorbei: Römer, Christen (Bistum Chur), Magyaren, Sarazenen und Deutsche, bevor 1803 der Kanton Graubünden der schweizerischen Eidgenossenschaft beitrat. In Chur und weiten Teilen des Kantons wird deutsch gesprochen, aber der Kanton hat, als einziger der Schweiz, drei Amtssprachen: Deutsch, Rätoromanisch und Italienisch. In Chur stiegen etwa die Hälfte der Reisenden aus dem Glacierexpress. 

Von Chur bis St-Moritz verkehren Glacier- und Berninaexpress auf derselben Schmalspur-Strecke von 1909  mit bis zu 7% Steigung (ohne Zahnradunterstützung), die seit 1919 elektrifiziert ist. Die Strecke schlängelt sich durchs Hinterrheintal und Albulatal (Nebenfluss des Hinterrheins) langsam wieder hoch, teilweise über beeindruckende Viadukte, die zum UNESCO - Welterbe „Rhätische Bahn" gehören. Die Reise bis St.Moritz dauert rund acht Stunden, es gibt sehr guten Restaurant-Service unterwegs. 

Von St. Moritz fuhr ich mit dem Regionalzug eine Station zurück nach Celerina. Ich wohne nun  eine Woche in Celerina im  Hotel Cresta Palace. Ein großer, klassisch schweizerischer Kasten von 1905 mit Lüstern, Messinglampen und Teppichen, alles gut in Schuss und mit moderner Sauna, Schwimmbad, kleinem Fitnessstudio und Sportangeboten sowie Freiticket für Busse und Bergbahnen. Das hat das Reisebüro wirklich schön gewählt und dabei einen guten Preis bekommen, den ich so nirgendwo gefunden habe. Die gemeinsamen  Sprachen des Hotel-, Service- und Küchenteams sind Englisch und Französisch, mit den Gästen (Schweizer-)Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch. Heute kamen zwei neue Mitarbeiter in den Wintergarten des Hotels, die ab der Wintersaison ein abendliches "Pop-up" Thairestaurant im Wintergarten mit 26 Plätzen führen sollen. Der Küchenchef sieht das als Experiment, wenn's läuft sollen mehr Plätze eingerichtet werden. 

Am Sonntag fuhr ich mit dem Bus nach Pontresina und stieg dort gegen 10 Uhr in den Berninaexpress, der aus Chur kam. Der Bernina Express verkehrt zur Corona-Zeit mit je einem Zug pro Richtung zwischen Chur und Tirano und Donnerstag bis Sonntag zusätzlich mit zwei Zügen pro Richtung zwischen St. Moritz und Tirano. Die "Sommerstrecke" Landquart – Davos – Tirano wird zur Zeit nicht bedient. Wir waren zu dritt im Panoramawagon der 1. Klasse. 

Der Zug schraubt sich von 1.774 Metern in Pontresina hoch zum Berninapass auf 2.253 Metern. Am Pass ist die Wasserscheide zwischen Schwarzem Meer und Adria, also Berninabach-Inn-Donau bzw. Acqua da Pila-Poschiavo-Adda-Po. In Alp Grüm gab es, trotz tiefhängender Wolken, eine gute Aussicht auf den Rest des Palügletschers und einen Fotostop. Runter ging es über Galerien und Tunnelkehren nach Poschiavo auf 1.014 Metern und weiter ins italienische Tirano (429 m). Beeindruckend ist neben den Talblicken noch der Kreisviadukt bei Brusio und die Fahrt direkt neben der Straße durch die Orte Tirano oder Parcheggio. 

Ich machte mich gleich wieder mit einem Regionalzug auf den Rückweg, weil ich noch ein oder zwei Wanderstopps plante. Da es oben regnete, stieg ich erst in Morteratsch auf 1.900 Metern wieder aus und ging ca. 35 Minuten leicht bergauf zum gleichnamigen Gletscher, um auch hier zu sehen wie weit er sich inzwischen zurückgezogen hat. Seit Beginn der systematischen Messungen 1878 hat der Morteratschgletscher über 2,6 km Länge verloren, dabei mit großen Schritten seit 1940. Die Gletscherzunge liegt inzwischen auf etwa 2.200 m, etwa 130 Meter höher als 1878. Das letzte große "Verlustjahr" war 2015 mit 164 Metern in der Länge. Die einzigen aktuelleren "Zuwachsjahre" waren 1985 (wie auch in Grindelwald) und 2004.

Noch ein bisschen Eisenbahntechnik: Glacierexpress und Berninaexpress fahren auf einer „Meterspur", sind also Schmalspurbahnen. Die "Normalspur", die es weitgehend im deutschen und europäischen Netz gibt, hat eine Breite von 1,435 Metern. In der Schweiz sind die großen Routen in Normalspur gebaut. Die Strecke St. Moritz- Tirano wird mit Gleichstrom betrieben, in den meisten europäischen Staaten wird die Eisenbahn mit Wechselstrom betrieben, Ausnahmen Italien, Spanien, Niederlande, Belgien, Polen und Teile von Frankreich. 

Für mich waren beide Touren sehr interessant. Die Tour mit dem Berninaexpress würde ich jedoch beim nächsten Mal nicht im Panoramazug, sondern in einem „Normalwagon" machen. Der Zug besteht regulär aus zwei Teilen: Panoramazug und "Normalzug". Im "Normalzug" kann man die Fenster fürs Fotographieren öffnen und ärgert sich nicht über viele Reflexe im Bild. Beim Glacierexpress gibt es diese Alternative auf der Strecke nicht. Eine weitere Option wäre die Weiterreise mit dem Berninaexpress-Bus von Tirano nach Lugano und eine Rundreise mit Anschluss an den Gotthard-Panorama-Express oder einem "Normalzug" in Richtung Luzern. Beide Panoramazüge auf meiner Reise waren nicht ausgebucht, der Glacierexpress etwa zu 75% belegt, der Berninaexpress maximal zu 50 %. Wer von euch solch eine Tour plant, sollte sie vielleicht machen, bevor die internationalen Touristengruppen wieder in die Schweiz reisen. Es ist eine gute Idee, sich statt Einzelfahrscheinen ein Interrail-Ticket zu kaufen, da stehen viele Alternativen zur Auswahl, Länderpässe oder ein Globalticket für x Reisetage innerhalb eines oder zwei Monaten oder x Reisetage hintereinander. Ein bisschen zum selber Austüfteln oder machen lassen, Beispiel: 5 Reisetage innerhalb eines Monats in allen Ländern für 282 € in der 2. Klasse, 376 € in der ersten Klasse, Ü60 wird's 10% billiger. 

Heute lege ich mal die Füße hoch, draußen nieselt es und die Wolken hängen tief. Ein schöner Tag für die Sauna. Ab morgen soll die Sonne wieder scheinen, dann geht's nach Davos und/ oder St. Moritz, mal sehen. 


Freitag, 4. September 2020

🇨🇭Grüezi miteinand

Am Mittwochmorgen habe ich mich um 07 Uhr mit dem Rucksack wieder auf die Reise gemacht: Mit dem Zug in und durch die Schweiz. Wieder ein bisschen "Retrotour". Ich habe 1989/1990 in Bern Geographie studiert und war damals natürlich auch ab und zu im Land unterwegs, auch in Zermatt, St. Moritz und Grindelwald, um zu wandern, Ski zu fahren oder Drachen-/ Gleitschirmflieger zu begleiten. 

Ich habe über ein Reisebüro die Zugfahrkarten und die Hotels gebucht. Das Reisebüro "Zugprofis" hatte ich mal zufällig entdeckt, als ich darüber nachdachte, was ich in meinem Sabbatical so machen könnte. In der Corona-Lage passt jetzt eine Zugreise in der Schweiz gut für mich. Die Fahrkarte ist ein Interrail-Ticket, nennt sich "Globalticket", damit kann ich an zehn Tagen innerhalb von maximal zwei Monaten in Europa reisen, die Reisetage trägt man jeweils ein, das war's. In Deutschland gilt das Ticket nur für die "Ausreise" und die "Rückfahrt". Auf meiner Liste stehen in der Schweiz Zermatt, Grindelwald, mit dem "Glacierexpress" nach St. Moritz, mit dem "Berninaexpress" in Richtung Italien und natürlich Bern. Wie schon bei den anderen Reisen, fahre ich 1. Klasse, das ist leerer und man hat mehr Platz. Ich möchte gern noch von Bern nach Venedig reisen, bevor ich um den 20. September wieder für ein paar Tage nach Hause fahre. Mal sehen, wie gnädig mir die Corona-Göttin dieses Mal ist. Bisher hatte ich ja viel Glück. Die Hinreise ab Potsdam über Berlin, Basel und Bern nach Zermatt lief bis kurz vor Hanau  rund, dann bremste uns ein Stellwerkschaden übel aus. Ich erreichte das Hotel Holiday in Zermatt erst um 22:30 Uhr, statt um 19:30 Uhr. Zum Glück war der DB nicht auch noch Essen und Trinken ausgegangen, ich ging also nicht hungrig schlafen, nur platt. Die 6.000 Einwohner Bergtourismusgemeinde Zermatt ist übrigens seit 1931 für den Autoverkehr gesperrt, es fahren Elektroautos der Hotels, Handwerker oder als Taxis und natürlich inzwischen auch e-bikes. 

Am Donnerstag fuhr ich morgens gegen 10:45 Uhr mit den Gornergrat-Bahn, einer elektrischen Zahnradbahn, die 1889 eröffnet wurde, hoch auf den Berg. Ich hatte im Hotel erfahren, dass alle Menschen, die zwischen 01.03. und 20. 06.2020 Geburtstag hatten diesen Sommer und Herbst (bis 30.11.) eine Freifahrt bekommen. Ich glaube ohne das Angebot wären mir 105 Franken- also etwa 100 Euro- zu viel gewesen. Die 9 km-Fahrt von 1.604 auf 3.089 Meter dauert etwa 20 Minuten und ist echt spektakulär, die Steigung beträgt bis 20% und man hat einen tollen Blick aufs Matterhorn. Auch wenn es oben-selbst ohne asiatische Touristen-voll war, war der Ausblick auf die beiden Gletscher, das Matterhorn und die anderen Berge drumrum beeindruckend. Der Grenzgletscher und der Gornergletscher bildeten bis zum Sommer 2019 noch ein Gletschergebiet, weil sie direkt "zusammenflossen". Bis dahin war das der zweitgrößte Gletscher der Alpen nach dem Aletsch-Gletscher. Jetzt sind es zwei Gebiete und der eigentliche Gornergletscher endet deutlich höher. Ich wanderte oben etwas herum und dann runter zu den beiden Seen, in denen sich der "Toblerone"-Berg spiegelt. Die Sonne schien, die Luft war klar und manchmal bildete sich die am Matterhorn typische Wolkenfahne. Es war so schönes Wetter, dass ich mich entschied ganz zu Fuss abzusteigen. Es wurde abseits der Seilbahnstationen deutlich leerer. Die Tour war schön, auch wenn die insgesamt um die 1.500 Höhenmeter mächtig auf die Knie gingen. Ich ließ mir Zeit und badete zwischendurch die Füße im Eiswasser des Gornergletschers. Kurz bevor ich an den Aussenregionen von Zermatt ankam, gab es noch den Gornerbach über eine Hängebrücke zu queren. Das ist auch nichts für jedeN. Im Hotel badete ich ausgiebig, nachdem ich Rösti und Bier zum "Nachtessen" hatte. Ich war zuletzt im Sommer 1989 in Zermatt, wir wanderten hoch in Richtung Matterhorn, parallel zur Seilbahn zum Schwarzsee. Damals entstand der Vorsatz nie wieder auf einen Berg zu wandern, wenn es auch eine technische Lösung nach oben gibt. Da kommst du nach drei, vier Stunden verschwitzt oben an und die anderen steigen entspannt aus der Seilbahn und machen sich für ein Stündchen zu den wirklich spektakulären Ausblicken auf. 

Heute nahm ich den Zug runter ins Tal, um über Interlaken nach Grindelwald zu fahren. Ich fuhr nur auch bewusst durch den "neuen" Lötschberg-Basistunnel. Am Mittwoch auf dem Hinweg war es ja schon dunkel. Der Bahntunnel gehört zum schweizer Bahn- Großprojekt der "Neuen Eisenbahn-Alpentransversale", kurz NEAT. Die politischen Entscheidungen zwei leistungsfähige Nord-Süd- Bahntunnel zu bauen, um eine Verlagerung des Schwerverkehrs von der Strasse auf die Schiene zu erreichen, wurde in den 1990ern getroffen. Ich erinnere mich noch an die ersten konkreteren Diskussionen in den 1980ern. Dabei wurden neue Basistunnel am Lötschberg und am Gotthard sowie eine Reihe anderer Verbesserungen diskutiert. Es gab zwei eidgenössische Volksabstimmung zu den Einzelprojekten: 1992 und 1998. Der Lötschberg-Basistunnel (34,6 km) ging 2007 in Betrieb. Der Gotthard-Basistunnel, mit  57 km der längste Eisenbahntunnel der Welt, ging 2016 in Betrieb.  Der Eurotunnel nach England hat übrigens 50 km Länge. Im Dezember 2020 wird mit dem Ceneri-Basistunnel der letzte Abschnitt der NEAT in Betrieb genommen. Es erfolgten auch seit den 1990ern konkrete  Absprachen mit Deutschland zur Verbesserung der wichtigen Güterverkehrsverbindungen von den Nordseehäfen durch das Rheintal. Im Vertrag von Lugano sicherte Deutschland 1996 zu, die 182 Kilometer lange Strecke Basel– Karlsruhe auf vier Gleise zu erweitern. In Betrieb sind davon bis heute 44 km zwischen Baden-Baden und Offenburg und 17,6 Kilometer nördlich von Basel. In Deutschland geht man von einer Fertigstellung der Gesamtstrecke bis 2040/41 aus. Echt peinlich! 

In Grindelwald machte ich mich gleich über die Seilbahn zum Pfingstegg zum Grindelwald-Gletscher auf den Weg. Ich wollte sehen, wie viel vom "Oberen Gletscher"  noch übrig ist. 1989 war ich noch in einer Eisgrotte in der Gletscherzunge, die war 1994 beim letzten Besuch schon weg, jetzt ist kein Eis im Tal mehr zu sehen. In seinem Hochstadium während der Kleinen Eiszeit (um 1850)  reichte  bis auf 1180 m ü. M. hinunter und endete gegenüber dem Grindelwalder Hotel Wetterhorn. Heute sieht man den Gletscher nur noch aus der Ferne auf etwa 2.000 Metern. Ich war sehr bedrückt, nie hätte ich gedacht, dass sich Klimawandel so schnell zeigt, früher dauerten Klimawechsel hunderte oder tausende Jahre, wir verändern die Welt in Jahrzehnten. Es geht Hüne nicht nur um ein paar Kubikmeter mehr oder weniger Eis, es geht um Quellgebiete der Flüsse: Der Grindelwaldgletscher speist die Aare, die wiederum in den Rhein fließt. Ich habe Fotos aus 1989 zum Vergleich mit dem Bild von heute gefunden, sie stammen von Dr. Hanspeter Holzhauser vom Geographischen Institut der Uni Bern. 

Heute Abend habe ich meinen Rucksack wieder gepackt, morgen geht es mit dem Glacierexpress über Chur nach St. Moritz, das Wetter ist immer noch schön, so dass es bestimmt eine eindrückliche Fahrt wird, wie die Schweizerin sagen würde. 

Kurz vor dem Ende der Ausstellung am 6. September war ich vor meiner Abreise auch endlich im Potsdam Museum, um mir die Bilder des Impressionisten Karl Hagemeister - und ein paar anderen aus der Zeit um 1890/1910 - anzuschauen. Hagemeister wurde 1848 in Werder (Havel) geboren und starb dort 1933. Er wurde in den Jahren 1871-1873 im Atelier von Friedrich Preller an der Fürstlichen freien Zeichenschule in Weimar zum Maler ausgebildet, reiste dann etwas herum (u.a. München, Brüssel, Amsterdam, Venedig) und kam Ende der 1870er wieder nach Werder zurück, wo er die meiste Zeit seines Lebens lebte. 1883/1884 war er in Frankreich und lernte verschiedene Impressionisten kennen. Im Jahr 1898 gründete Hagemeister zusammen mit einigen Kollegen, darunter Max Liebermann, die Berliner Secession. In Anerkennung seines künstlerischen Schaffens wurde Hagemeister mit 75 Jahren 1923 als ordentliches Mitglied der Akademie der Künste aufgenommen. In der Ausstellung sind 70 Bilder von Karl Hagemeister zu sehen, viele märkische Landschaften, auch Seerosen (1902), aber auch große Wellenbilder, die auf Rügen entstanden. Weiterhin 18 Gemälde anderer Künstler, wie Friedrich Preller, Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Slevogt oder Walter Leistikow. 

Am letzten Samstag waren wir außerdem auch wieder mal in Berlin unterwegs, dieses Mal in Friedrichshain, inklusive Besuch am Märchenbrunnen.