Mittwoch, 5. August 2020

🇧🇪 Bruxelles

Ich habe 14 Jahre in Brüssel gelebt und gearbeitet (2000-2014) und habe mir jetzt die Zeit genommen, mal wieder länger in der belgischen Hauptstadt zu sein. Auf dem Wunschzettel standen: Fritten bei Antoine an der Place Jourdan, „Moules frittes“ am Fischmarkt, Nordseebesuch, Gaufres (Waffeln), Neuhaus-Schokolade und natürlich auch Freunde, ehemalige Nachbar* innen und Kolleg*innen treffen. Ich arbeite den jetzt natürlich systematisch ab und es ist sehr schön. Der letzte Punkt ist etwas komplizierter, denn viele sind gerade im Urlaub oder ein Treffen ist wg. Covid-19 nicht möglich, weil es zu risikoreich  wäre. 
Manches Mal fühlt es sich an wie „zu Hause“ und manches Mal schon wieder fremd.
Die Wiedersehensfreude war groß bei den ersten Löchern in der Pflasterung auf dem Bürgersteig, beim ersten Spaziergang durch die Marollen und im Fôret des Soignes (Buchenwald, UNESCO Weltkulturerbe seit 2017), sie war schon geringer beim ersten Hundehaufen, aber der gehört auch immer noch irgendwie dazu. Wie schrieb ich im dritten Monat in Brüssel, im September 2000 „Ich habe an diesem Wochenende gleich drei Schritte ins "neue Leben" getan: 1. erster Discobesuch, 2. schöne, lange Joggingstrecke gefunden und 3. zum ersten Mal in Hundescheiße getreten.“ Irgendwie „normal“ war es dann auch, dass am Samstagabend kurz der Strom ausfiel. 
Anders, als in Deutschland gibt es in Bruxelles Capitale eine Maskenpflicht im gesamten öffentlichen Raum und in Läden, Museen etc. Auch wenn die Brüsseler Gemeinden das individuell regeln müssen, sind sich zumindest die „Innenstadtgemeinden“, wie Brüssel, Etterbeck, St. Gilles oder St. Josse da einig.
 
Im Vergleich zu den vielen Jahren, die ich hier gelebt habe, ist manches wirklich spürbar in Bewegung gekommen, so z.B. dass die Straßen und Plätze wieder für die Bewohner zurückgewonnen wurden. Die Autos werden verdrängt zugunsten von Radwegen, Fußgängerzonen und Begrünungen:
- Die Rue de la Loi war bis Ende der 2000er 5-spurig, dann 4-spurig und ist nun noch 3-spurig. Der restliche  Platz gehört Radfahrern und Fussgängern. Parallel wurde der Bahnhof Schuman zum wichtigen Knotenpunkt zwischen Eisenbahn  und U-Bahn umgebaut mit Anschluss zum Flughafen. 
- Der Boulevard Anspach im Zentrum von Brüssel wurde gesperrt und umgebaut. Jetzt ist er Raum für Begegnung, für Gastronomie, für Menschen zu Fuß oder auf dem Rad geworden. 
- Die Place Joudan ist endlich ein städtischer Platz mit Sitzgelegenheiten und Springbrunnen und nicht mehr ein Parkplatz an der Fritterie von Antoine. 
- Die Chaussee d ‘Ixelles ist für den motorisierten Durchgangsverkehr - außer Bussen - gesperrt, viele Seitenstraßen zu Einbahnstraßen geworden. 
Natürlich gibt es auch hier die bekannte Debatte, dass es ohne Parkplätze vor der Tür keine Kunden gäbe, aber den Eindruck hatte ich überhaupt nicht und die Erfahrungen anderer Städte, z.B. Gent, belegen die positiven Effekte. 
Es entstehen in der Innenstadt und im Europaviertel jetzt auch Wohnungen, wo früher Büros gebaut wurden oder als Nachnutzung ehemaliger Hotel- oder Bürogebäude. Das sind sicherlich teure Wohnungen fürs Wohnen auf Zeit, aber damit kommt, zumindest von Montagmorgen bis Freitagmittag - auch wieder etwas Leben in diese Bereiche rund um die EU- und andere Institutionen. Mein Eindruck bei den Aushängen der Makler war, dass die Preise halbwegs stabil geblieben sind für die Wohnungen für Expats, im Internet schien es mir dann doch teuerer, aber nach den Fotos inzwischen besser ausgestattet, als in den 2000ern, was Küchen und Bäder angeht. 
Manches bleibt irgendwie ein Dauerbrenner: Um den Justizpalast steht mal wieder ein Gerüst. Ich kann mich kaum daran erinnern, dass da mal kein Gerüst stand, aber jetzt ist fast das ganz Gebäude eingerüstet. Davor, auf der Place Poelaert, steht seit Februar 2020 ein 55 Meter hohes Riesenrad. 
Ich genieße vertraute Joggingrunden im Parc du Cinquantenaire. Sehr schön finde ich, dass das Sportgelände der angrenzenden königlichen Militätschule inzwischen für alle offen ist, der hohe Zaun ist abgebaut. Leute laufen auf der 400 m Bahn, spielen Basketball, machen freies Krafttraining, Gymnastik, Yoga, Boxen oder spielen auf dem ehemaligen Tennisplatz nun Kleinfeld-Fußball. In meinen „Brüsseljahren“ bin ich durch den Zaun gekrochen, um mal 400 m auf Zeit zu rennen. 
Im Parc du Cinquantenaire, dem „Jubelpark“, fanden auf Wunsch von König Leopold II. im Jahr 1880 Ausstellungen anlässlich des 50. Jahrestages der Unabhängigkeit Belgiens statt, vormals war der Park ein Militärübungsgelände. Am östlichen Ende des Parks steht seit 1905 der 50 m hohe Triumphbogen mit Quadriga. Auf beiden Seiten des Bogens in Säulengalerien sind zwischen 1920 und 1932 angefertigte Mosaike, die die „friedliebende belgische Nation“ beschwören sollen. Zu beiden Seiten des Triumphbogen befindet sich je eine große Ausstellungshalle, die die ursprünglichen Pavillons und Ausstellungshallen der Ausstellung von 1880 ersetzten. Hier sind heute die „Autoworld“ mit einer großen Oldtimer-Sammlung und das Militärmuseum „Musée Royal de l’Armée“. Der Park dient der Erholung, als Lebensraum der Halsbandsittiche und am nordwestlichen Ende steht eine große Moschee. Am südwestlichen Ende steht gerade eine Pop-up Bar mit Biertischen draußen für um die 100 Gäste. 

Als ich im Jahr 2000 nach Brüssel gezogen bin, habe ich in lockerer Reihenfolge und mit schwindender Intensität per Mail „Neues aus Brüssel“ verschickt, Blogs gab’s da noch nicht. Ich habe gerade mal nachgeschaut, was denn damals so meine ersten Eindrücke waren: „Brüssel ist eine relativ kleine Stadt, man erreicht viel zu Fuß und wenn man mutig ist – die Belgier haben einen sehr eigenwilligen Fahrstil - und ein bisschen trainiert – es gibt hier Hügel - kann man auch Rad fahren. Im Sommer sind die „Eingeborenen“ eigentlich alle im Urlaub, z.B. in den Apartmenthochhäusern an der Küste – da sieht es aus wie in Mallorca: Badehütte an Badehütte (sieht aus wie eine Gartenlaube und wird scheinbar auch so genutzt - Liegestuhl und Bierkiste), Sonnenschirm an Sonnenschirm entlang des „Strands“, sonnenverbrannte Nasen, Schultern und Bäuche. (...) Bemerkenswert am Leben in Brüssel ist neben der nervenden, scheinbar sehr ineffiziente Bürokratie die allseits erlebbare Kleinkriminalität. Belgien hat eine der höchsten Kriminalitätsraten in Europa: Jeder meiner KollegInnen hat Geschichten zu erzählen von Wohnungseinbrüchen, Autodiebstählen, Diebstählen aus Autos an der Ampel - Tür auf -Tasche weg, abendlichen Überfällen auf Jogger, um Schuhe und/oder Walkman zu erbeuten. Ich stellte heute fest, dass meinem Auto die Scheibenwischer fehlen. In meinem Auto ist nichts mehr zu sehen, keine Landkarten, keine Beutel, sowieso kein Radio, an die Scheibenwischer hatte ich nicht gedacht (wäre ja auch ein bisschen sehr affig). Auch wenn in meiner Gegend mindestens einmal pro Woche die Straße gefegt wird, sieht man immer wieder Splitter von Autoscheiben auf dem Bürgersteig oder auf der Straße.“ Diese Splitterfelder habe ich bisher nicht gesehen. Auch vorbei zu sein scheint der Jugendsport „Joy-riding“: Schnelles Auto klauen und vor die Wand fahren. Da hatte es im Jahr 2000 unseren Chauffeur im Büro erwischt. Im Oktober 2000 schrieb ich „In meiner Wohnung habe ich verschiedene Haustiere: Kakerlaken und Mäuse. Seit über 1 Woche versuche ich die Mäuse zu vergiften, aber entweder sind es immer neue oder sie vertragen das Gift besser, als der Hersteller glaubt. Sie futtern und futtern und futtern ohne erkennbaren Appetitverlust. Die Kakerlaken bin ich erst einmal los ... bis zum nächsten Mal. Das Deutsche Entomologische Institut in der bekannten Wissenschaftsstadt Eberswalde macht mir jedenfalls keine Hoffnung, diese Haustiere wirklich vertreiben zu können.“  Im November dann: „In meiner Wohnung könnte gerade alles ganz schön sein, wenn George nicht wäre: Die Mäuse sind wohl erst einmal vergiftet und der Handwerker soll auch die Löcher in der Wand hinter den Küchenschränken geschlossen haben (man beachte den Konjunktiv). Eine tote Maus lag bei Michael, in der Wohnung unter mir neben den Schuhen, als er sie morgens anziehen wollte. Er dachte schon, es hätte an seinen Schuhen gelegen, ich konnte ihn beruhigen. Die Kakerlaken schauen jetzt bei meiner Nachbarin vorbei. Aber auch sie ist wild entschlossen, es ihnen ungemütlich zu machen. George wohnt über mir und fühlt sich gestört vom Essengeruch, wenn ich koche. Die Küchen sind hier nachträglich eingebaut worden und die Abluftkanäle sind "belgisch" verlegt - etwas Show um gar nichts. Der Abluftkanal vom Herd endet irgendwo in der Deckenabhängung und wenn ich koche, so riecht man das im Bad - das liegt nämlich nebenan - und bei George, der ist oben drüber. Ich rieche auch, wenn Michael unter mir kocht. Mich hat das nicht so gestört, aber George ist eben empfindlich und nun zieht er entweder aus oder die Handwerker müssen sich ernsthaft um die Abluftkanäle kümmern.

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