Mittwoch, 26. August 2020

In Potsdam und drumrum

Brüssel ist seit 21.08.2020 vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet eingestuft, Paris seit 24.08.2020. Zum Glück war mein freiwilliger Corona-Test negativ, jetzt wären Test und Quarantäre Pflicht. Auch wenn ich mich geschützt habe und keine Symptome hatte, war ich froh, als der Brief vom Labor am Samstag im Briefkasten war. Es hat damit de facto 100 Stunden gedauert, bis ich Gewissheit hatte, das Labor hat selbst fast 48 Stunden bis zum Testergebnis gebraucht, die restliche Zeit war "Transport" zum Labor und Postweg zu mir. Wäre ich infiziert gewesen, hätte ich das nach dem Test am Dienstag um 0800 Uhr frühestens am Donnerstagabend erfahren. Die beim Test angekündigte Veröffentlichung auf einer Liste des Labors im Internet gibt es für mein Testergebnis bis heute nicht. Weltweit haben wir heute über 24 Millionen mit Covid-19 infizierte Menschen, ein Viertel in den USA. Von den Infizierten sind rund 1/3 gerade krank und 182.000 Menschen starben weltweit mit oder an Covid-19. In Deutschland haben wir heute 236.429 Fälle, davon jeweils rund knapp 1/4 in NRW bzw. in Bayern. Ich wundere mich immer, warum Herr Söder so auf Verschärfungen in ganz Deutschland dringt, in Bayern gibt es relativ zur Bevölkerungszahl seit Beginn der Pandemie die meisten Fälle. Als mein Sabbatical vor sechs Monaten begann, waren es weltweit um die 90.000 infizierte Menschen, in Deutschland gut ein Dutzend und ich dachte, es wird ein bisschen übertrieben. Mit dem Gedanken war ich damals sicher nicht allein. 
Nach dem Brief vom Testlabor kam bei mir auch wieder "Entdeckungslust" auf. Ich wusste, ich habe keine Infektion mitgebracht, die Temperaturen sanken nach Regen am Samstag auf angenehme 25 Grad (max) und die Fülle der Eindrücke aus Brüssel und Paris hatten sich "gesetzt".  
Am Sonntag waren wir mal wieder im Berliner Tierpark im Osten der Stadt. Die Größe (160 ha) und die Parklandschaft sind "Corona-tauglicher", als der  Berliner Zoo (33 ha) im Westen. Es gibt übrigens ein interessantes Buch über die Geschichte der beiden Zoos: "Der Zoo der anderen" von Jan Mohnhaupt. 
Neu war für uns die bunte Bärenausstellung an der Hauptallee zwischen dem Schloss Friedrichsfelde und dem Terrassencafé. Das Alfred-Brehm-Haus (1963) ist auch seit Mitte Juli nach 2-jähriger Sanierung wieder offen. Hier kann man im Dschungel spazieren, Flughunde,  bodenbrütende Vögel oder auch Krokodile treffen. Die Gehege für Sumatra-Tiger, Leopard  und für die Baumkängurus sind im bzw. am Brehm-Haus neu gestaltet. Als Nächstes wird jetzt das Elefantenhaus saniert.
Am Dienstag besuchte ich das Jüdische Museum in Berlin. Dort wurde am letzten Sonntag die neue Dauerausstellung zur Jüdischen Geschichte und Gegenwart in Deutschland eröffnet. Die neue Ausstellung erzählt die Geschichte der Juden in Deutschland seit dem Mittelalter bis in die Gegenwart. Nationalsozialismus und die Zeit von 1945 bis heute nehmen einen großen Raum ein. Es gibt "thematische Inseln" mit der Möglichkeit sich in Filme, Musik und Interviews zu vertiefen oder interaktive Karten zu nutzen - da freute sich die Geographin. Ich spazierte danach noch rund ums Jüdische Museum, die Michael-Blumenthal-Akademie und den Neubau der taz an der Friedrichstraße in Richtung Wilhelmstrasse zur "Topographie des Terrors" zwischen Anhalter Bahnhof, Potsdamer Platz und der historischen Stadtmitte. 
An der Stelle befand sich in den 1930er Jahren das Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), die Zentrale des Sicherheitsdienstes der SS und ab 1939 auch des Reichssicherheitshauptamtes. Es gibt ein Freigelände sowie Dokumentation und Aufarbeitung des Terrors durch den Nationalsozialismus in Deutschland, vor allem in  der Zeit von 1933 bis 1945. Ich war erstmalig in der Dauerausstellung. Nach dem vorherigen Museumsbesuch war ich aber etwas schlapp, ich gehe sicherlich nochmals hin. Vor dem Gropiusbau stand eine "Emmy", ein e-Scooter, mit der ich dann ein bisschen touristisch über Reichstag und Tiergarten nach Charlottenburg fuhr. Es machte großen Spaß. 
Heute schlief ich etwas länger, kramte zu Hause herum - Wäschewaschen, Aufräumen und so - schrieb diesen Eintrag und freue mich über den Regen. Ich hoffe, der hält jetzt ein bisschen an, nicht nur für unsere Pflanzen auf der Terrasse. Ein schöner Tag, um im neuen Sessel zu sitzen, Tee zu trinken und zu lesen. Die nächste Reise möchte ich nächste Woche starten, es geht mit dem Zug in und durch die Schweiz, zum Teil in den berühmten "Panoramazügen". Ich habe ein INTERRAIL-Ticket (10 Reisetage in 2 Monaten) und wenn es die Corona-Lage in der Schweiz, Italien und Deutschland erlaubt, fahre ich damit noch Mitte September von Bern weiter nach Venedig. 

Freitag, 21. August 2020

Coronatest in Berlin

Die Heimreise am Samstag war für mich recht verlässlich, Umstieg in Mannheim in den ICE und Braunschweig in den IC aus Emden. Die Umleitung des IC über Stendal statt Halt in Magdeburg und Brandenburg, wegen eines technischen Problems an der Strecke, betraf mich nicht wirklich. Der Zug war sogar etwas früher in Potsdam, als geplant. 

Am Sonntagmorgen habe ich dann das Bad im Heiligen See sehr genossen. Es ist immer wieder schön, gerade bei der Hitze. Sonntag und Montag sowie am Freitag gab es in Potsdam wieder über 30 Grad. Da ist es in der Wohnung hinter Gardinen doch auch ganz schön, es war zu warm und ich kam morgens schwer in die Gänge, weil auch die Nächte sehr warm waren. An den anderen Tagen war es ganz gut auszuhalten. Es war schön, wieder zu Hause zu sein und ich hatte auch nur ein bisschen "schlechtes Gewissen" gar nicht besonders aktiv zu sein. Am Mittwoch ging ich auch wieder morgens ein bisschen laufen, danach wieder in den See. Selbst 27 Grad sind erfrischend, die Ruhe und der Blick in den Himmel traumhaft. Am Donnerstag und Freitag räumte ich etwas auf, sogar im Keller und fuhr mit Elektroschrott zum Recyclinghof.

Ja und dann war da noch der Coronatest: Am Dienstagmorgen fuhr ich früh gegen 07:15 Uhr nach Berlin, im Hauptbahnhof hatte am Montag ein Corona-Testzentrum  eröffnet. Hier werden auch Menschen kostenlos getestet, die nicht aus den definierten RKI-Risikogebieten kommen, wie ich. Die Teststelle ist im Zwischengeschoss zur U5 in der letzten Ecke. Es arbeiten das Rote Kreuz mit der Bundeswehr und dem Labor MDI Limbach zusammen. Ich war kurz vor acht da und die einzige Kundin, etwa fünf Bundeswehrsoldaten und ebenso viele Mitarbeiter*innen des Roten Kreuzes vertrieben sich die Zeit so gut es ging. 

Die Prozedur ist nachvollziehbar, hat aber noch die eine oder andere Verbesserungsmöglichkeit: 

1. Formular zur Person und Reise ausfüllen: Da gibt es aber nur eine einzige Möglichkeit für die Angabe des Reiseunternehmens und des Sitzplatzes, was bei längeren Bahnanreisen und dann vielleicht auch noch aus dem Ausland zwangsläufig unvollständig wird. Man hat wohl die „Aussteigekarte“ der Bahn als Basismodell genutzt, die gilt eben für einen konkreten Zug, nicht für Reisen mit Umsteigeverbindungen. Natürlich kann man Details für die Nachverfolgung nachliefern, sollte man positiv sein, aber es sorgt erst einmal für Verwirrung. Die Datumsformate sind YYYY.MM.DD, also amerikanisch. Das wird zu Fehlern führen, wenn das automatisch gelesen werden sollte, weil das bestimmt viele nicht so genau lesen, wie ich das konnte, in aller Ruhe morgens um 0800. 

2. Theoretisch wird dann an der nächsten Station die Versicherungskarte eingelesen und ein QR-Code generiert. Praktisch funktionierte das am Dienstag nicht, die Herren von der Bundeswehr waren genervt und man trug meine Daten per Hand ein.

3. Statt eines QR-Codes bekam ich eine Nummer und mit der könne ich dann das Testergebnis nach 48 Stunden in einer pdf- Liste suchen. Diese Liste bei www.mdi-limbach-Berlin.de hat so um die 140 Seiten, eine Suchfunktion gibt es nicht auf dem Tablet, auch wenn behauptet wird „Auftragssuche im geöffneten PDF-Dokument über STRG + F“. Ich fand einen Weg über den Umweg das Dokument in Acrobat Reader hochzuladen. Nutzerfreundlichkeit geht anders.

3. Der Abstrich im Rachen war in weniger als einer Minute erledigt. Die Frau sah aus, wie man sie aus dem Fernsehen schon kennt: Ganzkörperschutz.

4. Sollte ich positiv sein, so rufen sie mich an, hieß es. Dann muss ich nicht in der Liste suchen. 

Um 08.11 Uhr saß ich schon wieder im RE 1 zurück nach Potsdam. Das Ergebnis lag bis heute Mittag, also drei Tage bzw. mehr als 72 Stunden nach dem Abstrich immer noch nicht vor, die aktuellste Liste (gerade nachgeschaut) stammte immer noch von gestern 11:45 Uhr. 


Samstag, 15. August 2020

🇫🇷 Adieu Paris

Die Entdeckungstouren durch Paris gingen am Donnerstag und Freitag weiter. Jetzt bin ich auf dem Heimweg mit dem TGV über Saarbrücken und Mannheim, dann ICE über Frankfurt (Main) und von Braunschweig mit dem „Nordsee-IC“ bis Potsdam. Alles in Allem knapp 10 Stunden für um die 1.000 km. Der TGV-Schaffner bedankt sich vorhin nach der Ticketkontrolle mit „Merci, Ellen.“ 

Am Donnerstag spazierte ich durch die Rue Mouffetard, eine der ältesten Straßen von Paris, hier befinden sich zahlreiche Häuser aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, drin finden sich verschiedene Restaurants, spezialisierte Lebensmittelgeschäfte, Kleider- und „Nippesläden“. Ich besuchte auch das Panthéon, das in derselben Gegend ist. Es ist die nationale Ruhmeshalle Frankreichs und Grabstätte berühmter französischer Persönlichkeiten. Das Panthéon steht auf dem Hügel der heiligen Genoveva, geplant vom Architekten Jacques-Germain Soufflot ab 1757 als Kirche der Abtei Sainte-Geneviève, der Grundstein wurde im September 1764 von Ludwig XV. gelegt, die Fertigstellung erfolgte erst 1790, da war der Architekt Soufflot schon zehn Jahre tot. Es stellten sich Bau- und Finanzierungsprobleme ein. Kurz nach der Fertigstellung wurde die Kirche im Zuge der französischen Revolution (1789-1799) zur nationalen Ruhmeshalle umgewidmet. Während des 19. Jahrhunderts wurde das Panthéon noch zweimal umgewidmet, zuletzt  1885 wieder von der Kirche zur nationalen Ruhmeshalle der Franzosen. Im Kellergeschoss, das die gesamte Grundfläche der Kirche umfasst gibt es viele Kapellen mit Ehrengräbern, darunter Voltaire (eigentlich François-Marie Arouet, 1694- 1778), die Schriftsteller Victor Hugo (1802-1885) und Émile Zola (1840– 1902), der Erfinder der Blindenschrift, Louis Braille (1809–1852) und der Politiker Jean Monnet (1888–1979), der die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vorantrieb, die später zur Gründung der Europäischen Kommission führte. Als erste Frau wurde 1907 Sophie Berthelot mit ihrem Mann, dem Chemiker und Politiker Marcelin Berthelot, beigesetzt, ein „Deal“ in Verbindung mit der Beisetzung des Gatten. Die erste Frau, die in Anerkennung ihrer eigenen Leistungen im Panthéon beigesetzt wurde, war Marie Skłodowska Curie (1867-1934), weitere Frauen sind Geneviève de Gaulle-Anthonioz (1920-2002) und Germaine Tillion (1907-2008), die beide in der Résistance kämpften sowie die ehemalige französische Ministerin und Präsidentin des Europäischen Parlaments, Simone Veil (1927-2017). Die meisten „Ehrengäste“ kommen erst längere Zeit nach ihrem Tod ins Panthéon, so wurde Alexandre Dumas erst knapp 130 Jahre nach seinem Tod im Jahr 2002 umgebettet. Andere wurden wieder ausquartiert, wie der Politiker Honoré Gabriel Victor de Riqueti, Marquis de Mirabeau (1749-1791), der während der französischen Revolution politisch aktiv war und dann 1794 wegen seiner Verbindungen zum Königshof Ludwigs XVI.  in Ungnade fiel. Im Panthéon findet sich auch das 67 m lange foucaultsche Pendel, mit dem 1851 der Nachweis der Erdrotation gelang, aber eben nicht sein Erfinder, der Physiker Léon Foucault. Er ruht auf dem Friedhof Montmatre. 

Am späteren Nachmittag erklomm ich vom Hotel aus den Montmatre und stieg auf Sacré-Cœur, wie schon am Vortag zog wieder Regen auf, die Temperaturen in der Stadt werden erträglicher. Die Basilica  im neobyzantinischen Stil wurde zwischen 1875 bis 1914 erbaut und erst nach dem 1. Weltkrieg im Jahr 1919 geweiht. 

Am Freitagmorgen hatte ich für 09:45 Uhr ein Ticket für die Katakomben von Paris, dem größte Beinhaus der Welt. Ursprünglich wurde hier in unterirdischen Stollen über einen Zeitraum von 2.000 Jahren Kalkstein abgebaut, der für den Häuserbau verwendet wurde. Im Laufe der Jahrhunderte entstanden so knapp 300 Kilometer Tunnel unter der Stadt, was im 18. Jahrhundert aufgrund der fehlenden Stabilität des Unterbodens zu ersten Problemen und Hauseinstürzen führte.

Die „Inspection Générale des Carrières“ ist bis heute für den Umgang mit den Bergbaufolgen verantwortlich. In den Katakomben liegen u.a. die Knochen von insgesamt 6 Millionen Menschen, die im 18. Jahrhundert von überfüllten Friedhöfen hierher umgebettet wurden, es herrschten Hungersnöte und Seuchen. Während der französischen Revolution wurden einzelne Stollen als Versteck genutzt, die Deutschen nutzten Stollen als Bunker. Man kann heute etwa 2 km unterirdisch entlang der Grabstätten gehen. Es war nützlich den Audioguide für Hintergrundinformationen zu haben, bei um die 14 Grad sind die Katakomben auch ein Sommerziel, wenn auch etwas makaber. Von den Katakomben machte ich mich später auf in Richtung Ille des Cignes, eine künstliche Insel in der Seine, südlich des Eiffelturms. Hier steht eine Replik im Maßstab 1:4 der New Yorker Freiheitsstatue des Pariser Bildhauers Auguste Bartholdi, sie am 4. Juli 1889 durch den damaligen französischen Staatspräsidenten Marie François Sadi Carnot. Am Einweihungstag feierte Frankreich den hundertsten Jahrestag des Sturms auf die Bastille (14. Juli 1789) und die USA den Unabhängigkeitstag (4. Juli 1776). Der Erbauer Bartholdi protestierte gegen die östliche Ausrichtung der Statue, deshalb drehte man sie im Mai 1937 in Richtung Westen. Was ich auf der ruhigen Insel nicht gesehen habe waren Schwäne (cignes).
Ich schaute noch bei Notre-Dame De Paris, der lieben Frau von Paris, vorbei. Die Kathedrale des Erzbistums Paris wurde in den Jahren von 1163 bis 1345 errichtet. Sie brannte 2019 teilweise ab und wird gerade originalgetreu wieder aufgebaut. Die beiden Türme aus Naturstein sind 69 Meter hoch und sehen aus der Ferne recht unbeschadet aus. Am 130 m langen, 48 m breiten und 35 m hohen Kirchenschiff sieht man deutlich die Schäden. Mehr zufällig fand ich das „Mémorial des Martyrs de la Déportation“ am östlichen Ende dder Île de la Cité, eine Gedenkstätte in einer Krypta mit 200.000 Kristallspitzen bedeckt, die die Opfer der Deportation symbolisieren. Die Wände sind mit Auszügen aus Gedichten und Zitaten geschmückt. Das Projekt wurde vom Architekten Georges-Henri Pingusson realisiert und am 12. April 1962 vom damaligen französischen Präsidenten, Charles de Gaulle, eröffnet. 

Gelernt habe ich, dass der Pariser Untergrund nicht nur heute durch Infrastruktur durchzogen wird, sondern früher schon durch den Abbau von Ton und Kalksteinen ziemlich untergraben und gelöchert wurde. Die Katakomben und der Park des Buttes-Chaumont wurden dadurch möglich, die Bauarbeiten, z.B. des Panthéons dadurch aber auch erschwert. 

Die schlechten Nachrichten am Freitag in Frankreich waren, dass Marseille und Paris zu „roten Zonen" in der Covid-19- Pandemie wurden und die britische Regierung beschlossen hat, dass Einreisende aus Frankreich ab Montag 14-Tage in Quarantäne müssen. Es gibt ein Zeitfenster von 48 Stunden, um ohne Quarantäne nach UK einzureisen, schnell waren alle Zugtickets weg, die Fähren voll. Das trifft die britischen Urlauber oder französische Arbeitnehmer in UK genauso unerwartet, wie es die Deutschen Urlauber trifft, die gerade in Spanien (außer Kanaren) Urlaub machen. Die Hoffnung auf „Normalität" platzt und die Absurdität der Werbung für den Sommerurlaub im EU-Ausland wird deutlich. In Paris liegt die Infektionsrate bei 62/100.000 in der letzten Woche, steigende Quoten gerade bei Jugendlichen und Menschen unter 40 überall im Land, vor allem in den Großstädten. 


Mittwoch, 12. August 2020

🇫🇷 Vous-êtes Belge, Madame?

Es schien zum Wochenbeginn so, dass sich die Covid-19-Lage in Belgien entspannte, aber das schien wohl nur so: Die Maskenpflicht wurde heute auf den gesamten öffentlichen Raum erweitert, nicht nur auf Märkten und Einkaufsstraßen und eben nicht nur dort, wo Menschen eng wohnen. Meist war das schon letzte Woche so, zumindest sobald man nicht mehr allein auf dem Bürgersteig war. In Paris hält man es ähnlich: Viele tragen auch draußen Masken, müssen muss man nur auf vielbesuchten Straßen und Plätzen. In der Metro soll jeder zweite Platz leer bleiben. Ich selber trage Maske und gehe Menschen und Menschengruppen aus dem Weg. Ich versuche weiterhin, mich möglichst draußen aufzuhalten. Im Zug fahre ich 1. Klasse, in Bussen oder in der Metro setze ich mich allein, wenn es geht. Die Maske nervt bei 35 Grad, aber Leute anstecken will ich weder hier, noch zu Hause. Ich bleibe mir bewusst, dass meine Reisen das Risiko erhöhen für mich und meine Umgebung. 

Gestern verließ in Brüssel mit dem Thalys nach Paris. Die Fahrt dauert knapp 1 1/2 Stunden, der Zug fährt auf Abschnitten um 295km/h, da sind die 300 km schnell überwunden. Die Ansagen im Zug sind übrigens durchgängig in vier Sprachen.  Als ich noch in Brüssel lebte, bin ich ab und zu nur für einen Tag mit THALYS oder TGV nach Paris gefahren, um dann um 10 Uhr einen Kaffee auf dem Eiffelturm zu trinken. Es war in Zeiten von gefühlter großer Fremdbestimmung, um wieder „meinen Rhythmus" zu bekommen. Dieses Mal habe ich mehr Zeit, erst am Samstag geht es zurück nach Hause. Ich ging zu Fuß vom Nordbahnhof zum Hotel Le Pigalle. Ein schönes Hotel mit einer sehr netten Crew und schönen, individuellen Zimmern  (https://lepigalle.paris). 

Mein erster Spaziergang führte mich zu den Galeries Lafayette. Ich bummelte durchs klimatisierte Kaufhaus und beim Smalltalk im Aufzug, sagte Madame „Vous-êtes Belge, Madame?“. Ach wie schön, man erkennt mich nicht als Deutsche in Paris. Ich weiß, ich weiß, als Belgierin erkannt zu werden ist bei den Franzosen auch kein wirkliches Kompliment, aber trotzdem schön. Weiter ging es zum „Jardin des Tuileries“, ein ehemaliger barocker Schlosspark aus dem 16. Jahrhundert beim gleichnamigen Schloss neben dem Louvre, das Schloss brannte 1871 beim Aufstand der Pariser Kommune ab. Der Park war immer der Privatgarten der Königinnen und Könige und wurde vielfach umgestaltet. Im Sommer gibt es hier eine Kirmes, wie - normalerweise - in Brüssel in dieser Zeit auch. Ich fuhr wieder mit dem Riesenrad, hier kostet das zwölf Euro, in Brüssel waren es acht. Angesichts von um die 36 Grad, war es keine so gute Idee, sich gegen 15 Uhr in einer Kabine aufzuhalten. Ich war recht froh, als die drei Runden rum waren. Aus den Tuilerien spazierte ich zum „Champ de Mars“ entlang der Seine und dann zum Eiffelturm. Ich hatte ein Ticket für 17 Uhr, gerade als Regen und Gewitter aufzogen. Es gab oben mächtig Wind, das war eigentlich ganz angenehm. Ich fuhr zum ersten Mal komplett mit dem Aufzug, das geht wohl auch gerade gar nicht mehr anders. Früher bin ich den unteren Teil bis zur 2. Etage meist zu Fuß gegangen, das sparte Zeit und für eine Person war im Aufzug nach ganz oben immer Platz. Es war schön von oben auf die Stadt zu schauen und das Gewitter vorbeiziehen zu sehen. Übrigens patrouilliert auch in Paris das Militär mit Gewehr, zumindest an markanten Plätzen, wie am Eiffelturm. Ich fuhr dann mit dem Bus heim und aß später indisch in der Nachbarschaft des Hotels.  Als Fußgängerin muss ich mich noch etwas daran gewöhnen, dass Zebrastreifen hier keine Bedeutung haben. Schön ist, dass auch in Paris viele Radfahrer unterwegs sind und der Autoverkehr deutlich eingeschränkt wird. 

Heute hatte ich schon für 9 Uhr ein Ticket für den Louvre, ich fuhr mit der Metro. Die Pariser Métro wurde ab 1898 unter Leitung von Fulgence Bienvenüe und Edmond Huet erbaut und anlässlich der Weltausstellung 1900, die auch verbunden war mit den  Olympischen Sommerspielen, eröffnet. Die Métro-Linie 1 durchquerte Paris von Ost nach West zwischen vom "Porte de Vincennes" zum "Porte Maillot" um die Zuschauer zu den Olympischen Sommerspielen im Stadion im Stadtwald "Bois de Vincennes" zu befördern. Heute hat die Pariser U-Bahn insgesamt 16 Linien mit insgesamt 219,9 km Streckenlänge. Die Métro befördert täglich über fünf  Millionen Personen. Seit 1998 fahren auch vollautomatische Linien, Linie 14 und Linie 1 (La Denfence- Château des Vinceennes). Die Linie 1 fährt auch zum Louvre und ist echt schnell unterwegs. Das Eintrittsritual im Louvre verlief professionell wie immer, ich hatte auch gleich einen Audioguide gebucht, ein Nintendo mit 3-D-Bildschirm. Anfangs hatte ich Probleme, mich mit dem Ding zu orientieren, aber dann ging es. Für mich waren  etwas wenig Bilder beschrieben, quasi nur die VIPs, aber das wird ja vielleicht noch. Ich ließ mich so etwa zwei Stunden durch das Museum treiben, dann war’s gut. 
Was macht man noch bei um die 34 Grad? Museum mit Klimaanlage hatte ich schon, shoppen in klimatisierten Gebäuden wollte ich nicht, also fuhr ich mit der Metro zum Parc des Buttes-Chaumont. Der ehemals „kahle Berg “ ist seit 1867 ein Landschaftsgarten englischen Stils im nordöstlichen 19. Arrondissement von Paris. Bis zum Mittelalter war die unfruchtbare Anhöhe, die geologisch vergleichbar mit dem Montmatre ist, wenig genutzt. Vom 13. bis ins 18. Jahrhundert befand sich an ihrem westlichen Fuße ein Galgenberg, der „Gibet de Montfaucon“,  der wichtigste Galgen der Könige von Frankreich, hier wurden die exekutiert, die wegen Verbrechen gegen den König und den Staat verurteilt waren. Einfache Kriminelle wurden am nahegelegenen Gibet de Montigny gehängt. Am Steilhang des Buttes-Chaumont standen ab dem 17. Jahrhundert einige Windmühlen, ebenso ab dem 17. Jahrhundert wurden Mergel, Ton und vor allem Gips gewonnen: Erst im Tagebau, ab 1810  auch unter Tage aus großen Kavernen und Stollen in bis zu 61 Metern Tiefe. Der Gips hatte eine hohe Güte und wurde bis nach Amerika exportiert. Die letzten Bergstollen, die Carrières d’Amérique, wurden in den 1870er Jahren zugeschüttet. Es gab hier auch eine Müllkippe und zahlreiche Abdeckereien, es fanden Tierkämpfe, inklusive Stierkämpfen, statt. Das war sicherlich keine schöne Gegend. Die Idee zur Umgestaltung hatten Napoleon III. und sein Stadtplaner Georges-Eugène Baron Haussmann, die 1863 beschlossen, hier einen Landschaftspark mit um die 25 ha errichten zu lassen. Er wurde von Jean-Charles Alphand als öffentlicher Garten geplant - das ist er immer noch. 
Eröffnet wurde der Park zur Weltausstellung 1867. Es ist der Park in Paris mit dem größten Höhenunterschied (mehr als 40 Meter), mit einer Insel, einer Grotte (mit künstlichen Stalaktiten), einer von Gustave Eiffel konstruierten Hängebrücke und einem kleinen Tempel im römischen Stil auf der Aussichtsplattform, also jede Menge schöne Kulisse. Ich spazierte herum und genoss die Bänke im Schatten. Ich kam noch ins Gespräch mit zwei Damen aus der Nachbarschaft, mit denen ich übers Wetter, meine Reisen, Berlin und mein „gutes Französisch“ sprach, ach, ging das runter. Später spazierte ich entlang der Metrolinie 2 bis zum Friedhof Montmartre. Neu war mir der eher indische Teil an der Station „La Chapelle“, in der Nähe gibt es auch einen Hindutempel. Der Friedhof Montmartre wurde in einem ehemaligen Gipssteinbruch angelegt und am 1. Januar 1825 als Cimetière du Nord eröffnet. Der Cimetière de Montmartre ist der älteste der heutigen Pariser Friedhöfe. Er hat Platz für 20.000 Gräber, jährlich werden etwa 500 Beerdigungen vorgenommen. Ich besuchte Dalida, Edgar Degas (aus der Familie De Gas) und freute mich über Schatten und gelegentlichem Wind. Erst später habe ich noch gelesen, dass Heinrich Heine - der aus Düsseldorf mit den Gedichten und Büchern -  und Léon Foucault - der mit dem Pendel - auch dort begraben sind. Zurück im Hotel nahm ich ein lauwarmes Bad, ist doch sehr schön, dass ich ein Zimmer auch mit einer freistehenden Wanne am Bett habe. 


Montag, 10. August 2020

🇧🇪 Fotos aus Brüssel 📷

Morgen geht es weiter nach Paris, hier noch ein paar Fotos von meinem Besuch in Brüssel für Kenner*innen der Stadt und Liebhaber*innen von Reisebildern, gerade in „Covid-19 Zeiten“. 







 

Sonntag, 9. August 2020

🇧🇪 La canicule 🥵

Auch in Brüssel ist jetzt Sommer, die Sonne brennt und es ist um die 30-35 Grad heiß. Zum Glück ist es  meist eine trockene Hitze mit um die 25% Luftfeuchte und nicht das Gewitterwetter, das es im Juli/ August hier auch über Tage und Wochen geben kann. Heute Morgen gab es ein leichtes Gewitter und sogar Regen, in Etterbeek ein paar Tropfen, in St. Gilles wurden gleich wieder die Bürgersteige geflutet. Es war 1-2 Stunden tropisch unangenehm, dann ging es wieder.

Am Mittwoch habe ich das Haus der Europäischen Geschichte im Parc Leopold besucht. Das Museum geht auf eine Initiative des Europäischen Parlaments zurück und wurde 2017 eröffnet. 
Das Zugangsprozedere war recht mühsam, da die Registrierungssoftware eher unter die Kategorie „Bananensoftware: Reift beim Kunden“ fällt. Es ist ratsam sich der Prozedur in Ruhe am Vortag zu widmen, Buchungen am selben Tag sind schwierig fürs System, Umbuchungen klappen gar nicht und die Sicherheitsleute sind zwar nett, aber auch etwas verzweifelt. Es gibt sich alles sehr strikt und dann wollte doch niemand die Reservierung genau prüfen oder meinen Ausweis sehen. Der Wachmann, der mir den Weg zeigen sollte, roch sogar durch die Maske nach Alkohol und war entsprechend verpeilt, auch 1 Stunde später noch, als ich wieder ging. 
Die Ausstellung ist jedoch die Mühen wert. Es gibt ein Tablet mit Kopfhörer mit Informationen zu den einzelnen Abteilungen und Stationen sowie Quellenangaben zu den Exponaten, wenn man sehr viel Interesse hat. Es gibt Filme, Landkarten, Texte, Bilder und andere Exponate. Das Museum befindet sich in einem Art-Deco Gebäude von 1933, einer ehemaligen Zahnklinik für sozial benachteiligte Kinder, deren Arbeit aus dem Vermögen des Erfinders der Kodakkamera, George Eastman, finanziert wurde. Solche Kliniken gab es nicht nur in Brüssel, sondern auch in anderen Großstädten wie z.B. London, Stockholm oder New York. In Brüssel war die Klinik wohl bis in die 1970er Jahre in Betrieb.

Am Donnerstag machte ich mit einer Freundin einen Spaziergang in ihrer Mittagspause im Parc Woluwe, mein üblicher Park für Läufe am Wochenende, als ich in Auderghem wohnte. 

Angesichts der Wettervorhersage fürs Wochenende- Sonne satt - machte ich mich dann am Freitag auf an die Küste:  Ich fuhr mit dem Zug früh morgens nach Oostende, dann mit der Küstentram nach Bredene und spazierte am Ufer entlang rund 14 km bis Blankenberge. Die Küstenorte sind nicht schöner geworden, wie schrieb ich schon 2000: „Die belgische Küste ist ziemlich hässlich, was die Bebauung angeht. Eine Vielzahl 5 bis 8-stöckiger Apartmenthäuser bilden eine fast geschlossene Front von einem Ort zum anderen. Da hilft nur: Blick zum Meer und nicht umdrehen.“ Natürlich war es voll in der Nähe der Orte und es gab alles was schnell ist und Krach macht zu erleben: Jetski, Wasserski, Speedboote. Wie in vielen Ländern macht man eben auch in Belgien mehr Urlaub im eigenen Land.  Zwischen Bredene und De Haan, zwischen De Haan und Wenduin und dann bis zur Hafeneinfahrt von Blankenberge war es ruhiger. Zum Glück fuhr die kleine Fähre, die Leute für 1 € über die Hafeneinfahrt in Blankenberge bringt und einem damit 20 Minuten langweiligen Fußweg ums Hafenbecken erspart. In Blankenberge war es dann auch wieder voll. Die Menschen strömten in Massen vom Bahnhof, als ich mich gegen 15 Uhr wieder auf den Rückweg nach Brüssel machte. Ich hörte, es habe am Freitag noch richtig Krawall in Blankenberge gegeben, so dass der Ort für Tagesgäste am Wochenende gesperrt wurde, ich habe also wieder alles richtig gemacht. 

Auf der Zugfahrt fiel mir auf, dass es inzwischen viel mehr Solarzellen auf den Dächern gibt und dass viele Bahnhöfe modernisiert wurden, so Brüssel-Nord, Brügge und Gent, in Blankenberg ist der Bahnhof in ein neues Hotel integriert worden. Die vier Feinde der Bahn - Frühling, Sommer, Herbst und Winter - schlugen auf dem Rückweg zu, Verspätungen in Brüssel wegen technischer Probleme. Abends bekam ich dann endlich Moulles-Frittes an der Place St. Catherine, dem ehemaligen Fischmarkt von Brüssel. 

Am Samstag bin ich im Arboretum in Tervuren spazieren gegangen. Welch eine schöne Entdeckung! Das geographische Arboretum ist von 1902 an unter Leitung des ehemaligen Konservators des Nationalen Botanischen Gartens in Meise und Professor an der Freien Universität Brüssel, Charles Brommer, angelegt worden. Es umfasst eine Fläche von ungefähr 100 ha und weist 460 verschiedene Baumarten auf. Die einzelnen Baumgruppen sind nach ihrem geographischen Ursprung angepflanzt und nicht nach ihrer biologischen Verwandtschaft, jede Parzelle bildet also einen kleinen Wald verschiedener Arten, die für eine jeweilige Region repräsentativ sind. Der Spaziergang kann also - wie im botanischen Garten in Berlin - eine Weltreise von Kalifornien bis nach Alaska mit einem Abstecher über die Anden sein. Leider fehlte mir da die Fachkunde und die Informationen zu den einzelnen Parzellen, schön war es trotzdem. Das Arboretum liegt im Kapuzinerwald, einem Buchenwald, der zwischen 1875 und 1880 in nordöstlicher Verlängerung des Forêt des Soignes angepflanzt wurde. Mehrere beeindruckende Buchenalleen verbinden die Parzellen.  

Heute traf mich zum Kaffee am Markt in St. Gilles und wir spazierten nachher zur Place Jeu des Balles mit dem Trödelmarkt. Auf dem Heimweg machte ich noch eine Fahrt im Riesenrad am Justizpalast mit gutem Blick über die Stadt. 

Was sich übrigens seit den Terroranschlägen am 22. März 2016 nur gering verändert hat ist die Militärpräsenz auf den Straßen. Heute früh, als ich im Park laufen war, rückten die LKW mit Soldaten aus in die Stadt, sie patrouillieren mit Gewehr im Anschlag weiterhin auf den Straßen im Europaviertel und in der Innenstadt.

In den Jahren 2000/2001 gab es noch ein paar lustige Geschichten in meinem damals neuen Brüsselleben: „Die Abluft aus der Küche wird offensichtlich in die Decke geblasen. Sie kommt in meinem Bad und in der Wohnung darüber an (...) nun ist seit ca. 4 Wochen die Decke im Bad geöffnet und man versucht, dem Problem auf den Grund zu gehen, aber irgendwie ändert sich nichts. Die Handwerker haben mühsam an 2 (!) Tagen eine neue Zwangsentlüftung im Bad installiert, die Badezimmerluft wird nun also auch noch aus dem Bad in die Decke geblasen - mir ist unklar, was das soll, denn es gibt offensichtlich keinen richtigen Kaminanschluss... c'est belge, sagt der Kenner. (...) Die Geschichte mit der Abluftanlage ist ziemlich ins Stocken geraten, es tut sich seit einiger Zeit nichts mehr. Ich koche, George leidet und die Handwerker sind spurlos verschwunden. Die Decke im Bad ist weiterhin teilweise offen. Dafür gibt es eine neue Waschmaschine im Keller. Die alte brauchte Ewigkeiten, um zu waschen und schleudern tat sie auch nicht richtig. Ich habe es dem Vermieter gesagt und es brauchte einige Gespräche, bis er einsah, dass ich weder zu blöd noch ungeduldig bin, die Maschine richtig zu bedienen und dass sich die anderen nur deshalb nicht beschweren, weil sie schon gar nicht mehr hier waschen. Die neue Maschine ist jedoch breiter, als die alte und so passte sie eigentlich nicht die Kellertreppe hinunter. Daraufhin wurde die Mauerecke an der Kellertreppe kurzerhand auf Diät gesetzt. Die Handwerker verschlankten sie mit ein paar beherzten Schlägen, man machten passend, was nicht passend war.“ oder die Sache mit den Parkuhren damals „Also mit den Parkuhren in unserer Straße ist es so: Die sind eigentlich nur so da. Sie stehen da, keiner füttert sie, die meisten sind auch kaputt, aber man kann das Fahrrad anschließen oder auch dagegen rennen. Nur die Fremden glauben, dass man hier überall nicht kostenlos parken darf und versuchen immer wieder einmal, Geld einzuwerfen, was meist misslingt. Heute morgen kam ich aus dem Haus und es stand wieder ein "Fremder" vor der Parkuhr und inspizierte sie. Er sah klar und deutlich, dass das Geldfach aufgebrochen war. Er hätte auch sehen können, dass keine andere Uhr in Betrieb war, aber er stocherte mit seinem Geldstück an der Uhr herum. Ich versuchte, ihm klarzumachen, dass es nicht nötig sei, es weiter zu probieren. Er schaute mich verwirrt an und stocherte weiter. Als ich nach 30 Minuten zurückkam, war er dann doch verschwunden, ich hatte mir schon Sorgen gemacht.“ Heute kostet das Parken überall richtig viel Geld und man zahlt modern per SMS.


Mittwoch, 5. August 2020

🇧🇪 Bruxelles

Ich habe 14 Jahre in Brüssel gelebt und gearbeitet (2000-2014) und habe mir jetzt die Zeit genommen, mal wieder länger in der belgischen Hauptstadt zu sein. Auf dem Wunschzettel standen: Fritten bei Antoine an der Place Jourdan, „Moules frittes“ am Fischmarkt, Nordseebesuch, Gaufres (Waffeln), Neuhaus-Schokolade und natürlich auch Freunde, ehemalige Nachbar* innen und Kolleg*innen treffen. Ich arbeite den jetzt natürlich systematisch ab und es ist sehr schön. Der letzte Punkt ist etwas komplizierter, denn viele sind gerade im Urlaub oder ein Treffen ist wg. Covid-19 nicht möglich, weil es zu risikoreich  wäre. 
Manches Mal fühlt es sich an wie „zu Hause“ und manches Mal schon wieder fremd.
Die Wiedersehensfreude war groß bei den ersten Löchern in der Pflasterung auf dem Bürgersteig, beim ersten Spaziergang durch die Marollen und im Fôret des Soignes (Buchenwald, UNESCO Weltkulturerbe seit 2017), sie war schon geringer beim ersten Hundehaufen, aber der gehört auch immer noch irgendwie dazu. Wie schrieb ich im dritten Monat in Brüssel, im September 2000 „Ich habe an diesem Wochenende gleich drei Schritte ins "neue Leben" getan: 1. erster Discobesuch, 2. schöne, lange Joggingstrecke gefunden und 3. zum ersten Mal in Hundescheiße getreten.“ Irgendwie „normal“ war es dann auch, dass am Samstagabend kurz der Strom ausfiel. 
Anders, als in Deutschland gibt es in Bruxelles Capitale eine Maskenpflicht im gesamten öffentlichen Raum und in Läden, Museen etc. Auch wenn die Brüsseler Gemeinden das individuell regeln müssen, sind sich zumindest die „Innenstadtgemeinden“, wie Brüssel, Etterbeck, St. Gilles oder St. Josse da einig.
 
Im Vergleich zu den vielen Jahren, die ich hier gelebt habe, ist manches wirklich spürbar in Bewegung gekommen, so z.B. dass die Straßen und Plätze wieder für die Bewohner zurückgewonnen wurden. Die Autos werden verdrängt zugunsten von Radwegen, Fußgängerzonen und Begrünungen:
- Die Rue de la Loi war bis Ende der 2000er 5-spurig, dann 4-spurig und ist nun noch 3-spurig. Der restliche  Platz gehört Radfahrern und Fussgängern. Parallel wurde der Bahnhof Schuman zum wichtigen Knotenpunkt zwischen Eisenbahn  und U-Bahn umgebaut mit Anschluss zum Flughafen. 
- Der Boulevard Anspach im Zentrum von Brüssel wurde gesperrt und umgebaut. Jetzt ist er Raum für Begegnung, für Gastronomie, für Menschen zu Fuß oder auf dem Rad geworden. 
- Die Place Joudan ist endlich ein städtischer Platz mit Sitzgelegenheiten und Springbrunnen und nicht mehr ein Parkplatz an der Fritterie von Antoine. 
- Die Chaussee d ‘Ixelles ist für den motorisierten Durchgangsverkehr - außer Bussen - gesperrt, viele Seitenstraßen zu Einbahnstraßen geworden. 
Natürlich gibt es auch hier die bekannte Debatte, dass es ohne Parkplätze vor der Tür keine Kunden gäbe, aber den Eindruck hatte ich überhaupt nicht und die Erfahrungen anderer Städte, z.B. Gent, belegen die positiven Effekte. 
Es entstehen in der Innenstadt und im Europaviertel jetzt auch Wohnungen, wo früher Büros gebaut wurden oder als Nachnutzung ehemaliger Hotel- oder Bürogebäude. Das sind sicherlich teure Wohnungen fürs Wohnen auf Zeit, aber damit kommt, zumindest von Montagmorgen bis Freitagmittag - auch wieder etwas Leben in diese Bereiche rund um die EU- und andere Institutionen. Mein Eindruck bei den Aushängen der Makler war, dass die Preise halbwegs stabil geblieben sind für die Wohnungen für Expats, im Internet schien es mir dann doch teuerer, aber nach den Fotos inzwischen besser ausgestattet, als in den 2000ern, was Küchen und Bäder angeht. 
Manches bleibt irgendwie ein Dauerbrenner: Um den Justizpalast steht mal wieder ein Gerüst. Ich kann mich kaum daran erinnern, dass da mal kein Gerüst stand, aber jetzt ist fast das ganz Gebäude eingerüstet. Davor, auf der Place Poelaert, steht seit Februar 2020 ein 55 Meter hohes Riesenrad. 
Ich genieße vertraute Joggingrunden im Parc du Cinquantenaire. Sehr schön finde ich, dass das Sportgelände der angrenzenden königlichen Militätschule inzwischen für alle offen ist, der hohe Zaun ist abgebaut. Leute laufen auf der 400 m Bahn, spielen Basketball, machen freies Krafttraining, Gymnastik, Yoga, Boxen oder spielen auf dem ehemaligen Tennisplatz nun Kleinfeld-Fußball. In meinen „Brüsseljahren“ bin ich durch den Zaun gekrochen, um mal 400 m auf Zeit zu rennen. 
Im Parc du Cinquantenaire, dem „Jubelpark“, fanden auf Wunsch von König Leopold II. im Jahr 1880 Ausstellungen anlässlich des 50. Jahrestages der Unabhängigkeit Belgiens statt, vormals war der Park ein Militärübungsgelände. Am östlichen Ende des Parks steht seit 1905 der 50 m hohe Triumphbogen mit Quadriga. Auf beiden Seiten des Bogens in Säulengalerien sind zwischen 1920 und 1932 angefertigte Mosaike, die die „friedliebende belgische Nation“ beschwören sollen. Zu beiden Seiten des Triumphbogen befindet sich je eine große Ausstellungshalle, die die ursprünglichen Pavillons und Ausstellungshallen der Ausstellung von 1880 ersetzten. Hier sind heute die „Autoworld“ mit einer großen Oldtimer-Sammlung und das Militärmuseum „Musée Royal de l’Armée“. Der Park dient der Erholung, als Lebensraum der Halsbandsittiche und am nordwestlichen Ende steht eine große Moschee. Am südwestlichen Ende steht gerade eine Pop-up Bar mit Biertischen draußen für um die 100 Gäste. 

Als ich im Jahr 2000 nach Brüssel gezogen bin, habe ich in lockerer Reihenfolge und mit schwindender Intensität per Mail „Neues aus Brüssel“ verschickt, Blogs gab’s da noch nicht. Ich habe gerade mal nachgeschaut, was denn damals so meine ersten Eindrücke waren: „Brüssel ist eine relativ kleine Stadt, man erreicht viel zu Fuß und wenn man mutig ist – die Belgier haben einen sehr eigenwilligen Fahrstil - und ein bisschen trainiert – es gibt hier Hügel - kann man auch Rad fahren. Im Sommer sind die „Eingeborenen“ eigentlich alle im Urlaub, z.B. in den Apartmenthochhäusern an der Küste – da sieht es aus wie in Mallorca: Badehütte an Badehütte (sieht aus wie eine Gartenlaube und wird scheinbar auch so genutzt - Liegestuhl und Bierkiste), Sonnenschirm an Sonnenschirm entlang des „Strands“, sonnenverbrannte Nasen, Schultern und Bäuche. (...) Bemerkenswert am Leben in Brüssel ist neben der nervenden, scheinbar sehr ineffiziente Bürokratie die allseits erlebbare Kleinkriminalität. Belgien hat eine der höchsten Kriminalitätsraten in Europa: Jeder meiner KollegInnen hat Geschichten zu erzählen von Wohnungseinbrüchen, Autodiebstählen, Diebstählen aus Autos an der Ampel - Tür auf -Tasche weg, abendlichen Überfällen auf Jogger, um Schuhe und/oder Walkman zu erbeuten. Ich stellte heute fest, dass meinem Auto die Scheibenwischer fehlen. In meinem Auto ist nichts mehr zu sehen, keine Landkarten, keine Beutel, sowieso kein Radio, an die Scheibenwischer hatte ich nicht gedacht (wäre ja auch ein bisschen sehr affig). Auch wenn in meiner Gegend mindestens einmal pro Woche die Straße gefegt wird, sieht man immer wieder Splitter von Autoscheiben auf dem Bürgersteig oder auf der Straße.“ Diese Splitterfelder habe ich bisher nicht gesehen. Auch vorbei zu sein scheint der Jugendsport „Joy-riding“: Schnelles Auto klauen und vor die Wand fahren. Da hatte es im Jahr 2000 unseren Chauffeur im Büro erwischt. Im Oktober 2000 schrieb ich „In meiner Wohnung habe ich verschiedene Haustiere: Kakerlaken und Mäuse. Seit über 1 Woche versuche ich die Mäuse zu vergiften, aber entweder sind es immer neue oder sie vertragen das Gift besser, als der Hersteller glaubt. Sie futtern und futtern und futtern ohne erkennbaren Appetitverlust. Die Kakerlaken bin ich erst einmal los ... bis zum nächsten Mal. Das Deutsche Entomologische Institut in der bekannten Wissenschaftsstadt Eberswalde macht mir jedenfalls keine Hoffnung, diese Haustiere wirklich vertreiben zu können.“  Im November dann: „In meiner Wohnung könnte gerade alles ganz schön sein, wenn George nicht wäre: Die Mäuse sind wohl erst einmal vergiftet und der Handwerker soll auch die Löcher in der Wand hinter den Küchenschränken geschlossen haben (man beachte den Konjunktiv). Eine tote Maus lag bei Michael, in der Wohnung unter mir neben den Schuhen, als er sie morgens anziehen wollte. Er dachte schon, es hätte an seinen Schuhen gelegen, ich konnte ihn beruhigen. Die Kakerlaken schauen jetzt bei meiner Nachbarin vorbei. Aber auch sie ist wild entschlossen, es ihnen ungemütlich zu machen. George wohnt über mir und fühlt sich gestört vom Essengeruch, wenn ich koche. Die Küchen sind hier nachträglich eingebaut worden und die Abluftkanäle sind "belgisch" verlegt - etwas Show um gar nichts. Der Abluftkanal vom Herd endet irgendwo in der Deckenabhängung und wenn ich koche, so riecht man das im Bad - das liegt nämlich nebenan - und bei George, der ist oben drüber. Ich rieche auch, wenn Michael unter mir kocht. Mich hat das nicht so gestört, aber George ist eben empfindlich und nun zieht er entweder aus oder die Handwerker müssen sich ernsthaft um die Abluftkanäle kümmern.